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  • 23. April 2024
    Wie es wirklich war

    Wolfgang Schäuble (1942 bis 2023) Foto Klett Cotta

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    Dieser Artikel in der FAZ

    Josef Ackermann und Wolfgang Schäuble erinnern sich sehr unterschiedlich

    Warum schreiben Männer (zuweilen auch Frauen) Memoiren? Die beste Antwort kommt von Franz Beckenbauer. »Ich – Wie es wirklich war«, lautet der Titel seiner Autobiografie, 1992 erschienen. Beckenbauers Versprechen, hier bekomme der Leser einen wahrheitsgetreuen Einblick in seine Beziehung zu Frauen, seinem Verhältnis zum Geld und seinem Umgang mit Mannschaftskollegen, haben ihm hoffentlich noch nicht einmal seine treuesten Fans abgenommen.

    Aufgeklärte Zeitgenossen wie der Musiker Wolfgang Niedecken (BAP) haben vorsichtshalber ihr Leben mehrfach und jeweils anders erzählt. Das ist auf der Höhe der heutigen Hirnforschung, die weiß, dann man sich die Erinnerung nicht wie die Festplatte eines Laptops vorstellen darf. Was gewesen ist, wird immer und stets neu aus der Gegenwartserfahrung heraus konstruiert: »Invention of Tradition«. Abgründig ist das Phänomen der »false memories«, der felsenfesten Einbildung ohne jegliche Betrugsabsicht, etwas habe sich so und nicht anders ereignet, wofür es, bei nüchterner Betrachtung nicht den geringsten Beleg gibt oder – noch gespenstischer – wofür Freunde oder Geschwister hartnäckig ihrerseits reklamieren, sie selbst hätten genau dies erlebt.

    »Ego-Dokumente«, wie die Geschichtswissenschaft nicht nur Memoiren, sondern auch Tagebücher, Verhörprotokolle vor Gericht oder handgeschriebene Liebesbriefe nennt, haben es in sich. Ihrer Behauptung der Authentizität, was auch einem Bedürfnis des Lesers entspricht, ist mit größtem Misstrauen zu begegnen. Doch wenn es nicht um dokumentarische Wahrheit geht, worum geht es dann? Mutmaßlich um die Rechtfertigung eines Lebens vor sich selbst und anderen und dem Bedürfnis, Einheit in die Mannigfaltigkeit der Fragmente eines Lebens zu bringen. Die meisten Menschen seien im Grundvertrauen zu sich selbst Erzähler, vermutete der Erzähler Robert Musil.

    Bewunderung und Anfeindung

    Handelt es sich um eine öffentliche Person kommt das Interesse hinzu, die Deutungshoheit über das eigene Leben zu behaupten, es mit dem Siegel der Autorschaft zu adeln nach dem Motto, »ich werde doch selbst am besten wissen, wie es gewesen ist«. Insofern ist es ein historisches Glück, dass in kurzem Abstand zwei Memoirenbände erschienen sind, deren Lebensläufe sich mehrfach gekreuzt haben: Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, erzählt sein Leben unter dem Frank Sinatra entlehnten Titel »Mein Weg«. Von Wolfgang Schäuble, dem an Weihnachten 2023 verstorbenen großen deutschen Politiker, sind in der vergangenen Woche unter dem Titel »Mein Leben in der Politik« nachgelassene Memoiren erschienen.

    Beide Männer hatten auf die politische und wirtschaftliche Geschichte Deutschlands in den letzten Jahrzehnten nicht geringen Einfluss. Beide mussten mit Bewunderung und Anfeindungen umgehen. Liest man beide Autobiografien parallel, so übertreffen allein schon was die literarische Qualität betrifft die Memoiren Schäubles die Erinnerungen Ackermanns um Beträchtliches. Auch im Anspruch und der Erfüllung des literarischen Genres kommt Ackermann weniger reflektiert daher: Das Muster simulierter Bescheidenheit will es, dass »Freunde und Bekannte« ihn dazu ermuntert haben, sein Leben aufzuschreiben. In gutgläubiger Beckenbauer-Manier fügt Ackermann hinzu, hier würden nun »die Dinge so dargestellt, wie sie eigentlich gewesen sind«. Während Jubiläumsbücher (mutmaßlich der Deutschen Bank) nur so von Fehlern strotzen, sei bei ihm, Ackermann, das Verlangen gewachsen, die »wahre Geschichte« zu erzählen – gegen die im Umlauf befindlichen Mythen, Fantasien, Fabeln und Legenden.

    Ganz anders Wolfgang Schäuble. Er bekennt geschickt, dass es sich um seine »subjektive Sicht« handele und dass er sich während der Niederschrift damit konfrontiert gesehen habe, »wie schnell die eigene Erinnerung der Selbsttäuschung unterliege und wie unzuverlässig ein Gedächtnis sei«. Aber natürlich ist Schäuble überzeugt, dass er alles schon richtig erinnert und er (fast) immer eine gute Figur abgegeben hat: Es macht sich gut, dass er es war, der Kanzler Kohl die junge Angela Merkel als Generalsekretärin vorschlug; damit verdankt die Frau aus dem Osten ihm ihre steile Karriere. Und es macht sich besser, wenn Markus Söder selbst auf die Kanzlerkandidatur verzichtet, als dass Schäuble ihn dazu verdonnert hätte. So geht autobiografische Erinnerungskonstruktion, nebenbei geliefert als freundliche Hilfestellung für spätere Historiografen.

    Klischee des Investmentbankers

    Von solcher Dialektik ist Ackermann nicht angekränkelt; stattdessen offenbart er sich als Namedropper von Format. Ein großer Mann im Kreise großer Männer. Frauen, da ähneln sich Ackermann und Schäuble, haben ihren Auftritt vor allem als treu-verlässliche Sekretärinnen – sieht man einmal von Angela Merkel oder Christine Lagarde ab.
    Während Schäuble bei Ackermann nicht oder allenfalls indirekt vorkommt, ist Ackermann für Schäuble eine Reizfigur. Ein »Banker«, dessen Verantwortung anders als beim »ehrbaren Bankier« von früher sich auf die »Profite der Anleger« reduziert habe, Frankfurter Fuzzis eben. Man dürfe nicht zu lange Bundesfinanzminister sein, so Schäuble, wenn man nicht als grundsätzlicher Kapitalismuskritiker enden wolle. Dieses Urteil ist nicht nur ungerecht, es spiegelt zugleich das Klischee des gierigen Investmentbankers, das über »die Ackermänner« damals in Umlauf war.

    Nein, Freunde waren diese beiden Männer nicht. Aufschlussreich ist die Erinnerung Schäubles an die Verhandlungen mit Ackermann in seiner Rolle als Chef des Weltbankenverbands in den Jahren 2011 und 2012 über einen Schuldenschnitt für Griechenland. Schäuble fühlt sich von Ackermann geschulmeistert und kontert – »vermutlich barsch« -, er lasse sich von ihm nicht »hinter die Fichte« führen. Ackermann, so Schäubles Erinnerung, habe insistiert, den Griechen mehr als zwanzig Prozent ihrer Schulden erlassen, sei den privaten Banken nicht zuzumuten. Schäuble verlangte mindestens fünfzig Prozent und triumphiert: »Es wurden am Ende 53 Prozent«. Bei Ackermann kommen diese Verhandlungen auch vor, auch die entscheidenden 53 Prozent. Dass dies – sofern Schäuble korrekt erinnert – für Ackermann eine große Niederlage bedeutete,
    überschweigt Ackermann großzügig. Auch in der Fähigkeit des Eingeständnisses von Niederlagen ist Schäuble besser als Ackermann, der stattdessen sein Eurorettungskapitel mit einem Zitat Christine Lagardes abrundet, er sei »ein Mensch mit großer Würde, Eleganz und der Fähigkeit, Themenkomplexe schnell und aus großer Distanz zu erfassen«.

    Mit Angela Merkel haben beide Männer so ihre Erfahrungen gemacht und Enttäuschungen erlebt. Wie die damalige Kanzlerin alles selbst erinnert haben will, werden wir im Herbst wissen. Dann erscheinen die Merkel-Memoiren.

    Rainer Hank