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  • 15. Februar 2024
    Geld und Moral

    Portinari-Triptychon (geöffnet) von Hugo van der Goes, 1473–1477 Bild: wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Können Kapitalisten gute Menschen sein?

    Zwischen 1476 und 1478 schuf der flämische Maler Hugo van der Goes ein dreiteiliges Altarbild, dessen Zentrum die Anbetung des Jesuskindes durch die Hirten Bethlehems darstellt. Das Gemälde wurde bekannt unter dem Namen »Portinari Triptychon« und ist heute in den Uffizien in Florenz zu besichtigen.

    Ursprünglich war das Bild vorgesehen für die Grabkapelle der Familie Portinari in einer Kirche in Brügge. Tommaso Portinari, der Auftraggeber des Werkes, war damals Statthalter der Medici-Bank in Brügge. Die Kosten des Bildes werden auf etwa 8.000 flämische Silbermünzen geschätzt, was in etwa dem Jahresgehalt eines zeitgenössischen Steinmetzes entspricht, also auch für einen Bankier mehr als Peanuts gewesen sein müssen.

    Warum gibt ein Banker eine solch große Summe Geld für ein Kunstwerk aus? Gewiss will er sich ein Denkmal setzen, das auch über seinen Tod hinaus Kunde von ihm gibt und seine Bedeutung die Nachgeborenen sichtbar macht. Ein Kunstwerk im fünfzehnten Jahrhundert ist, anders als heute, kein Werk für den Kunstmarkt oder für Museen, sondern hat neben seinem ideell-religiösen und realen auch einen sozialen Wert: Portinari demonstriert seinen eigenen Wert in der Oberschicht der Gesellschaft von Brügge, in der er als bestens vernetzt gilt.

    Doch das ist längst nicht alles. Tommaso Portinari hat nämlich selbst einen Auftritt auf dem linken Seitenflügel des Altars, wo er sich zusammen mit seinem Sohn Antonio und den beiden Namenspatronen in die Gruppe der das Christuskind anbetenden Hirten einreiht. Der Vertreter einer der wichtigsten europäischen Banken macht sich gemein mit einfachen Leuten, den Hirten auf dem Felde, denen als erstes die große Freude der Menschwerdung Gottes verkündet wird. Demut und Hochmut sind sich nah: Die Erniedrigung des reichen Mannes im Bild ist zugleich die Bedingung seine Erhöhung. Er und sein Sohn werden zu frühen Zeugen der Heilsgeschichte.

    Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr

    Um das zu verstehen, muss man sich ein wenig in einen reichen Bankier der Renaissance einfühlen. Der Mann lebt mit Gewissenskonflikten, die seinen heutigen Nachfolgern bei der Deutschen Bank oder Goldman Sachs in aller Regel erspart bleiben. Zwar ist er stolz auf seinen wirtschaftlichen Erfolg, womöglich auch überzeugt, dass er den Wohlstand seiner Kunden mehrt, denen er mit Eigenkapital, Kredit und Wechsel ermöglich, ihre Geschäfte zu machen. Zugleich weiß er aber als ein frommer Mann, dass sein Glaube das Geld- und Gewinnstreben unter die Strafe der ewigen Verdammnis stellt. Die Raffgier des christlichen Kaufmanns und Geldleihers verstößt gegen die christliche Moral. Bekanntlich geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr als ein reicher Mann in den Himmel kommt. Dem Wucherer – und als solcher gilt jedermann, der Geld gegen Zinsen verleiht – droht die Hölle. Habsucht und Gier sind eine Todsünde.

    Der Aufstieg des merkantilen Kapitalismus seit dem Jahr 1200 ist die Quelle unseres heutigen Reichtums. Insofern können wir froh sein, dass sich die Kaufleute und Bankiers des 13. Jahrhunderts und späterer Zeiten nicht der harten Auslegung des Glaubens durch die amtliche Kirche unterworfen und ihre Geschäfte aufgegeben haben. Nicht zuletzt die Erfindung eines komplexen Bank- und Versicherungswesens sind die Voraussetzung des kapitalistischen Wohlstands. Zugleich müssen die Männer innere Gewissensqualen erlitten haben, um das paradox klingende Ziel zu erreichen, gleichzeitig ein frommer und ein wirtschaftlich erfolgreicher Mensch zu sein. Eine aktuelle Ausstellung der Morgan Library in New York mit dem hübsch alliterierenden Titel »Medieval Money, Merchants and Moral« (mittelalterliches Geld, Kaufleute und Moral) legt davon außerordentlich beredtes Zeugnis ab. Wer gerade nicht in Manhattan ist und keine Zeit findet, die Ausstellung zu besuchen, kann sich von dem großartig bebilderten Katalog und den sehr instruktiven Essays der Kuratorin Diane Wolfthal bestens aufklären lassen.

    Kehren wir noch einmal zurück zu Tommaso Portinari. Dass als Bankier seiner Seele ewige Verdammnis bevorsteht, bezweifelt der fromme Mann nicht. Doch die Kirche, schlau wie sie immer schon war, bietet einen Ausweg an: Geld muss nicht unbedingt in die Hölle führen. Geld kann eine fromme Seele auch retten. Dann nämlich, wenn damit Gutes geschieht. Als gute Tat und barmherzige Pflicht tätiger Nächstenliebe galt in den Augen der Kirche, den Armen zu helfen und ihnen Geld zu schenken. Zudem sah man es als gottwohlgefällig an, auch für die vielfältigen Aufgaben der Kirche Geld zu spenden. Schließlich konnte mit Geldgeschenken an die Kirche ein Gnadenakt (»Ablass«) erwirkt werden, durch den zeitliche Sündenstrafen für einen selbst oder für andere im Fegefeuer erlassen würden (was Luther im 16. Jahrhundert bekanntlich schwer gegeißelt hat).

    Wie aus Schuldgefühlen Kunst wird

    Der reiche Medici-Bankier Tommaso Portinari lindert für sich selbst die Bürde der Schuld, indem er sich als armer Hirte darstellen lässt und zugleich mit dem von ihm in Auftrag gegebenen Werk zum prächtigen Schmuck der Jakobs-Kirche in Brügge beiträgt. Sein Schuldgefühl gibt den Anstoß zu einem Kunstwerk, das sich seinem Reichtum verdankt. Selbst der große Cosimo de Medici, Staatsmann und Bankier in Florenz, lebte in der ständigen Furcht vor Strafe für seinen Reichtum. Papst Eugenius IV. wies einen Ausweg: Spende 10.000 Florin für die Dominikanerbrüder von San Marco und Deine Strafe wird erleichtert!

    Die Moral dieser Geschichte ist nicht ganz eindeutig. Und auch nicht wirklich stimmungsvoll weihnachtlich. Hätte sich die christliche Lehre damals durchgesetzt, wären wir heute immer noch bettelarm. Doch die Kirchenmänner waren keine schlichten Gemüter und keine radikalen Ideologen. In großartiger Dialektik, man könnte auch von eigennütziger Rabulistik sprechen, boten sie einen Ausweg an, der den Reichtum zwar weiterhin verabscheute, zugleich aber dessen Folgen entdramatisierte, sofern die Kirche selbst und die Armen an den Früchten des Erfolgs partizipieren durften. Das kann man, muss es aber nicht als perfide schelten. Denn es ist ja per se ein humaner Gedanke, dass Reiche von ihrem Erfolg etwas abgeben für die, die vom Schicksal, den sozialen Umständen oder der familiären Genetik weniger privilegiert wurden. Und wenn als Folge des Reichtums religiöse Kunst entstand, das »Portinari Triptychon« zum Beispiel, dann können wir uns heute noch daran sinnlich freuen und intellektuell davon ansprechen lassen, auch wenn uns der Glaube abhandengekommen sein sollte. Dass finanzieller Erfolg bis heute sich nicht nur vor den Gegnern der Marktwirtschaft, sondern nicht selten auch vor dem eigenen Gewissen rechtfertigen muss, bleibt indes aus meiner Sicht das anstößigste Erbe dieser Geschichte aus dem Herbst des Mittelalters.

    Rainer Hank