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  • 29. November 2023
    Allahu Akbar

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    Dieser Artikel in der FAZ

    Gibt es einen Zusammenhang zwischen Religion und Terror?

    Viele Terroristen der Hamas, so wird es berichtet, hatten bei ihrem barbarischen Massaker am 7. Oktober in Israel den Schlachtruf »Allahu Akbar« auf den Lippen. Das bedeutet: »Gott ist größer«. Die Vermutung liegt nahe, der Terror habe sich auf diese Weise einer religiösen Legitimation versichert. Dies überhöht die böse Tat und gibt ihr einen theologischen Sinn: Es wäre dann der Wille Gottes, die Juden auszurotten und Palästina »zu befreien« (»From the river to the see«).

    Trägt der Nahostkonflikt Züge eines Religionskrieges? Führt der Absolutheitsanspruch vieler Religionen zu Mord, Totschlag und Barbarei? Der jüdische Historiker Michael Brenner sagte jüngst in einem FAZ-Interview, das religiöse Element werde allenthalben stärker. »Wenn jüdischer Messianismus und Islamismus aufeinandertreffen, gibt es keine Kompromisse. Beider Wahrheitsanspruch ist absolut.«

    Die religiös-ideologische Überhöhung kriegerischer Verbrechen ist nicht neu. In Bertolt Brechts »Mutter Courage«, einem Drama, das im dreißigjährigen Krieg spielt und 1941 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt wurde, tritt ein »Feldprediger« auf. Sein Dialog mit dem Koch der Soldatentruppe geht so:

    »DER FELDPREDIGER: Werden Sie nicht gerührt, Koch. In dem Krieg fallen ist eine Gnad und keine Ungelegenheit, warum? Es ist ein Glaubenskrieg. Kein gewöhnlicher, sondern ein besonderer, wo für den Glauben geführt wird, und also Gott wohlgefällig.
    DER KOCH: Das ist richtig. In einer Weis ist es ein Krieg, indem daß gebrandschatzt, gestochen und geplündert wird, bissel schänden nicht zu vergessen, aber unterschieden von alle andern Kriege dadurch, daß es ein Glaubenskrieg ist, das ist klar.«

    Eine Wallfahrt macht Menschen friedlich

    Eigentlich wollte ich in dieser Kolumne mein Vorurteil bestätigen (wer will das nicht gerne), dass Religionen, ihrer Friedensbotschaft zum Trotz, Hass, Zwietracht sähen und Gewalt und Leid in die Welt bringen. Und dass der Islam die Welt vereindeutigen will, weil Mehrdeutigkeit schwer auszuhalten ist: Mörder werden als Märtyrer gefeiert. Ambiguitätstoleranz, eine zivilisatorische Errungenschaft, und Absolutheitsansprüche, ein archaisches Erbe, passen eben nicht zusammen.

    Wäre das die ganze Wahrheit, müsste man Religionen bekämpfen oder zumindest im Sinne des Aufklärers Thomas Hobbes politisch unschädlich machen, um die Menschheit zu zivilisieren. Doch ganz so einfach (und schrecklich), wie es zunächst scheint, ist der Zusammenhang zwischen Religion, Krieg und Terrorismus nicht. Mouhanad Khorchide, Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster, verwahrt sich dagegen, dass es Allahs Wille sei, jüdische Menschen abzuschlachten. »Allahu Akbar« werde als Schlachtruf missbraucht, sagt er. Das sei unislamisch. Das Bekenntnis, dass Gott größer ist, sei in Wahrheit ein Aufruf zu Mäßigung und nicht zu Radikalisierung. Allah zu vereinnahmen, werde vom Islam also verboten. Was freilich unzählige religiös ungebildete Imame nicht hindere, genau dieses böse Geschäftsmodell mit Erfolg zu betreiben.

    Inzwischen haben auch die Ökonomen begonnen, den Zusammenhang von Terror, Religion und wirtschaftlicher Benachteiligung zu erforschen. Berühmt geworden ist eine Untersuchung des amerikanischen Ökonomen David Clingingsmith, der zusammen mit Kollegen die Auswirkung der religiös vorgeschriebenen Wallfahrt nach Mekka (»Haddsch«) auf muslimische Pilgergruppen aus Pakistan studierte. Es liegt nahe, hier einen radikalisierenden Effekt zu vermuten, zumal bekannt ist, dass einige der islamistischen Terroristen, die am 7. Juli 2005 einen Anschlag auf die Londoner U-Bahn verübten, zuvor eine Pilgerreise nach Mekka unternommen hatten.

    Doch die Haddsch-Studie der Ökonomen hat das Radikalisierungs-Vorurteil gründlich falsifiziert. Die Pilger kamen friedlicher aus Mekka zurück als sie aufgebrochen waren und zeigten sich religiös sanfter im Vergleich mit denen, die nicht dabei waren. Antipathien und Aggressionen gegenüber Ungläubigen sind nicht etwa größer geworden, sondern nahmen ab. Dagegen wuchs der Glaube an die Notwendigkeit von mehr Gleichheit zwischen ethnischen Gruppen. Und das Bekenntnis zu Frieden und Harmonie unter den Religionen. Ein Ergebnis, an dem Lessings »Nathan der Weise« seine wahre Freude gehabt hätte.

    Sonnenfinsternis und Hexenverbrennung

    Der Freiburger Ökonom Tim Krieger, dem ich den Hinweis auf die Haddsch-Studie verdanke, beschäftigt sich seit langem mit dem Thema. In einem aktuellen Forschungspapier zeigt er, dass vom Mittelalter bis zur Aufklärung Kriege, antisemitische Pogrome und Hexenverfolgungen stets in solchen Jahren zunahmen, denen einen Sonnenfinsternis vorausgegangen war. Eine Sonnenfinsternis galt damals als Zeichen des Übernatürlichen und Wink des Göttlichen. Dies wiederum konnte von den Mächtigen in der Politik als religiöser Kitt instrumentalisiert werden, die Ungläubigen (Juden und Muslime) zu bekriegen und Ketzer und »Hexen« zu bekämpfen. Strategisch gesehen stärkt Religion die Kampfesmoral.

    Doch noch einmal: Der Zusammenhang zwischen Religion und Gewalt ist nicht so eindeutig, wie es scheint. Im Kern geht es bei Religionen um Hilfen zur Bewältigung von Kontingenz durch ein Angebot, dem Leben einen Sinn zu geben. Es geht eben nicht um Gewalt und Terror. Doch seit den Anfängen der Menschheit bot Religion sich auch dazu an, von Herrschern, Führern, Päpsten (Kreuzzüge) oder Imamen instrumentalisiert zu werden zur moralischen Aufrüstung von Kriegern und Terroristen. Ob das ein Missbrauch ist oder den Religionen (Absolutheitsanspruch) wesensmäßig eignet, vermag ich nicht zu entscheiden.

    Tim Krieger äußert die Vermutung, dass Religiosität immer dann eine problematische Wirkung hat, wenn die politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Rahmenbedingungen eines Landes schlecht sind. Daraus könnte man dann zumindest folgern, dass Sozial- und Entwicklungspolitik ein Mittel zur Pazifizierung von Gruppen ist, die auf diese Weise weniger anfällig dafür würden, sich in Kriege und Massaker schicken zu lassen und dies dann auch noch als religiös-gebotenen Auftrag eines Gottes camouflieren. Das könnte ein Hinweis dafür sein, warum es hierzulande weniger radikalisierten Islamismus gibt als in den französischen Banlieues.

    In Gaza scheint das freilich so nicht zu funktionieren: Ziemlich viel Entwicklungshilfegeld aus den Golfstaaten wie aus der EU brachte ganz offenbar keine nennenswerte Verbesserung des Wohlstands. Schlimmer noch: Hamas muss seinen (sozial-)staatlichen Verpflichtungen gegenüber der eigenen Bevölkerung weniger nachkommen, wenn diese Aufgaben durch ausländische Hilfe finanziert werden. Das spart Geld, das anderweitig mit tödlichen Folgen eingesetzt und dann auch noch als Auftrag Gottes ausgegeben werden kann.

    Rainer Hank