Hanks Welt
Subjektive Reflexionen, freche Interventionen, persönliche Spekulationen: »Hanks Welt« wirft einen subjektiven Blick auf das Geschehen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Meine Kolumne erscheint Sonntag für Sonntag im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).
Aktuelle Einträge
10. Mai 2025Ein Herz aus Stammzellen
14. April 2025Lauter Opportunisten
07. April 2025Die Ordnung der Liebe
29. März 2025Streicht das Elterngeld
17. März 2025Der Kündigungsagent
17. März 2025Hart arbeiten, früh aufstehen
04. März 2025Kriegswirtschaft
21. Februar 2025Lasst Minderheiten regieren
12. Februar 2025Sägen, Baby, Sägen
12. Februar 2025Der Kiosk lebt
03. Juni 2019
Ich knacke das Taxi-KartellEin wahres Märchen in Sachen Uber & Co.
Wo ist Ahmed? Die Sache geht nicht gut los, soviel ist klar. Ahmed ist mein Fahrer. Das weiß ich von der Uber-App. Ahmed werde in vier Minuten bei mir sein, sagt die App. Ich kann auf meinem Handy verfolgen, woher er kommt und wie lange er an der letzten Ampel warten muss. Aber dann? Ahmed fährt ungerührt an meinem Haus vorbei, verkurvt sich zwei Blocks weiter dann vollends. Ich stehe auf der Straße, buchstäblich bestellt und nicht abgeholt, muss aber mitansehen, wie mir die Uber-App schon einmal fünf Euro in Rechnung stellt für eine Fahrt, die ich gar nicht angetreten habe. Wie gesagt, die Sache ging nicht gut los.
Was man wissen muss: Ich bin Uber-Novize. Zwar habe ich schon viel Positives über den Taxi-Schreck gehört und geschrieben, den es seit Dezember auch in Frankfurt wieder gibt. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier heißt es, oder, wie die Sozialwissenschaftler zu sagen pflegen, Pfadabhängigkeit sei einer der größten Feinde des menschlichen Fortschritts. Ohnehin ist mein liebstes, weil schnellstes urbanes Fahrzeug das Rad, zumindest dann, wenn es nicht in Strömen regnet.
Warum streiken die Taxen?
Vergangenen Dienstag hat es in Strömen geregnet als ich auf dem Sprung zu einer Verabredung war. Normalerweise hätte ich telefonisch ein Taxi bestellt, aber auf das herkömmliche Beförderungsgewerbe bin ich derzeit nicht gut zu sprechen. Jüngst in Berlin hat ein sogenannter Taxisstreik von über 800 gelben Wagen nebst Hup-Corso mich in erheblichen Stress versetzt: Von Chaos nicht nur am Flughafen Tegel, sondern in der ganzen Stadt schrieb tags drauf die »Berliner Morgenpost«. Ich kann es bestätigen. Ein Streik-Déjà-vu gab es vergangene Woche in Frankfurt. Die wütenden Taxifahrer haben es auf Verkehrsminister Andreas (»Andi«) Scheuer (CSU) abgesehen, dem sie vorwerfen, er wolle ihnen das Geschäft kaputt machen, weil er zu uber-freundlich sei. Selbst wenn sie Recht hätten: Wenn Taxifahrer mich gewinnen wollen, indem sie mich als Kunden bestreiken und dann auch noch die Stadt so verstopfen, dass andere Beförderungsmöglichkeiten erschwert werden, dann haben sie mich verloren.
Zurück zu Ahmed. Ich hatte mir also die Uber-App heruntergeladen, was nicht mehr als fünf Minuten dauert, und mein Ziel im Frankfurter Westend eingegeben, woraus sich ein Fahrpreis von 7 Euro 16 errechnet. Nähme ich für dieselbe Strecke ein Taxi, schlüge die Fahrt mit zwölf Euro zu Buche, behauptet Uber. Inzwischen hat Ahmed mithilfe seines Navis und im ständigen lotsenden SMS-Kontakt mit mir den Weg zu meinem Haus gefunden. Ich oute mich als unzufriedener Uber-Novize und beschwere mich über eine Rechnung ohne Leistung. Ahmed sagt, auch er sei erst seit drei Tagen Uber-Fahrer. Wir müssen beide lachen.
Und sogar ein Hybridauto
Später lese ich auf meiner App, Ahmed sei bekannt für »great conversation«. Das kann ich bestätigen. Wir haben uns prima verstanden und ich habe die Chance ergriffen, ihn über Uber auszufragen. Ich fasse die Konversation zusammen: Ahmed fährt einen schicken neuen Toyota Prius, ein umweltfreundliches Hybrid-Auto speziell für die Stadt, das bis 30 Kilometer in der Stunde mit Batteriestrom fährt und erst danach auf Benzin umstellt. Ahmed lobt, die Chinesen würden uns eben vormachen, wie man tolle Öko-Autos baut. Dass er chinesische und japanische Autobauer verwechselt, sehe ich ihm nach – das hätte mir auch passieren können. Der Wagen gehört ihm nicht selbst, sondern seinem Boss, der viele Autos für Uber am Laufen hat. »Das Geld müssen wir uns also zu dritt aufteilen«, sagt Ahmed: Zwischen Uber, der Auto-Flotte und ihm, dem Fahrer. Anders geht es auch gar nicht seit einem Urteil des Bundesgerichtshofs, wonach direkte Verträge zwischen selbständigen Fahrern und Uber untersagt sind. Erlaubt hingegen ist, dass Uber mit einem Mietwagenbetreiber (Ahmeds Boss) einen Vertrag hat, der seinerseits selbständige Fahrer wie Ahmed für sich arbeiten lässt.
Womit wir wieder bei Verkehrsminister Andi Scheuer wären. Für Taxis und Mietwagen gelten nämlich unterschiedliche Bestimmungen. Während ein Taxifahrer sofort nach Ende einer Fahrt wieder einen neuen Fahrgast aufladen darf, ist dem Chauffeur eines Mietwagens dies untersagt: er muss gemäß unseres Personenbeförderungsgesetzes leer zu seinem Betriebssitz zurück, darf sich auch nicht vor dem nächstbesten Hotel aufpflanzen und mit günstigeren Fahrpreisen Kunden zu Uber locken. Das will Minister Scheuer abschaffen. Solche gesetzlich verpflichtenden Leerfahrten sind nämlich nicht nur teuer, sondern auch ziemlicher ökologischer Unfug. Eine Aufhebung der Rückkehrpflicht würde Emissionen von jährlich mindestens 30000 Tonnen CO2 einsparen, hat das Prognos-Institut errechnet, weshalb Greta Thunberg eigentlich eine große Freundin von Minister Scheuer sein müsste (ist sie aber nicht).
Man muss auch die Taxis befreien
Die Aufhebung der Rückkehrpflicht sei unfair, behauptet das Taxi-Kartell, was offenkundig Blödsinn ist: wenn etwas unfair (und eben umweltschädlich) ist, dann doch wohl die Rückkehrpflicht. Was die Taxifahrer tatsächlich meinen, wenn sie streiken, sind schärfere gesetzliche Auflagen, denen sie unterworfen sind, die aber für die Uber-Fahrer nicht gelten. So muss man als Taxifahrer eine teure Konzession erwerben und eine genaue Kenntnis aller Straßen seiner Wirkungsstätte nachweisen. Die Tarife sind nicht frei, sondern gesetzlich vorgeschrieben und es gilt ein sogenannter Kontrahierungszwang: eine Taxifahrer hat sozusagen einen öffentlichen Auftrag, jedermann (wenn er nicht gerade sturzbesoffen ist) zu seinem Fahrtziel zu bringen, andernfalls wird ein Bußgeld fällig.
Doch aus alledem kann doch nicht folgen, dass man für Uber neue absurde Vorschriften erfindet, sondern das genaue Gegenteil: Die Branche der Personenbeförderer muss von überholten Fesseln befreit werden. Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesverkehrsminister hat schon vor ein paar Jahren gefordert, Konzessionsbeschränkungen abzuschaffen und die staatliche Festlegung der Tarife aufzugeben. Der Begriff des »Mietwagens« sollte ganz aus dem Gesetz gestrichen werden. Dass die Prüfung der Ortskenntnis in Zeiten von Google-Maps ein Anachronismus ist, wurde schon oft gesagt. Überhöhte Preise sind regelmäßig eine Folge staatlicher Regulierung: Eine Deregulierung des Taxi-Kartells würde nicht nur günstigere Marktpreise für die Kunden bringen, sondern auch faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den unterschiedlichen Droschkenanbietern. Uber ist ein Segen für die Menschheit und tritt inzwischen auch nicht mehr so rabaukig auf wie zu Anfangszeiten.
Was noch nachzutragen wäre: Uber hat mir auf meine knappe Beschwerdemail hin die erste falsche Rechnung storniert. Dass die Fahrt mit einem Taxi statt sieben bis zu zwölf Euro kostet, wie Uber behauptet, wurde mir von Better-Taxi bestätigt, einem nach eigenen Angaben unabhängigen Preisrechner (zum Frankfurter Flughafen fährt Uber um 18 Euro günstiger als das Taxi). Und Ahmed hat am Ende das übliche Trinkgeld in bar und eine überschwängliche Bewertung im Netz von mir erhalten. Nun hoffe ich, dass wir bald wieder miteinander fahren; er weiß jetzt ja, wo ich wohne.
Rainer Hank
28. Mai 2019
Was man von Österreich nicht lernen sollteEin Mietdeckel schadet vor allem den Mietern
»Österreich macht es vor«, so tönte die deutschen AfD, wenn sie ihre Freunde in der österreichischen FPÖ als Helden präsentierte. Das hat sich nach Ibiza-Gate erledigt. »Österreich macht es vor«, ist aber nicht nur ein Leitspruch der Rechten, sondern auch der deutschen Linken, wenn es darum geht, wie wir hierzulande die Wohnungsnot in den großen deutschen Städten lindern können.
Gemeint ist der sogenannte Gemeindewohnungsbau im traditionell roten, also SPÖ-regierten Wien, dessen hundertster Geburtstag derzeit mit viel Pomp gefeiert wird. Den Auftakt machten am vergangenen Sonntag die Wiener Symphoniker mit einem Open-Air-Jubiläumskonzert (»Peter und der Wolf«) am Metzleinstaler Hof, dem Pionier des sozialen Wohnungsbaus. Die Party ging angesichts der Regierungskrise ein wenig unter. Höhepunkt soll nun am 30. Juni ein großes Fest im Wiener Karl-Marx-Hof werden, mit 14000 Wohnungen ein Vorzeigepalast des guten, weil sozialistischen Wohnens. Auf die Bürgermeister in Berlin, Frankfurt und München übt nicht nur die Idee des kommunalen Wohnungsbaus Charme aus, sondern auch der damit verbundene konsequente Mieterschutz: Die Preise für das Wohnen sind staatlich reguliert auf sechs bis sieben Euro pro Quadratmeter. »Mietdeckel« ist das Zauberwort, das jetzt auch die deutschen Politiker lieben: Es soll all jene Hausbesitzer beruhigen, die mit dem Schlimmsten rechnen, der Enteignung der Wohnungen, und es soll zugleich Deutschland, dem Volk der Mieter, signalisieren, dass der Traum von einer bezahlbaren Bleibe am Prenzlauer Berg für jedermann doch noch aufgehen werde.
Schlag nach bei Friedrich A. von Hayek
In Wirklichkeit wird alles nur noch schlimmer, wenn deutsche Städte sich Wien zum Vorbild für den Wohnungsbau nehmen. Der liberale österreichische Ökonom Friedrich August von Hayek (1899 bis 1992) hat die verheerenden Folgen früh schon analysiert. In einem Vortrag mit dem Titel »Das Mieterschutzproblem«, gehalten im Jahr 1928 vor der Nationalökonomischen Gesellschaft Wiens, demonstriert der junge Hayek, wohin es führt, wenn der Markt außer Kraft gesetzt wird und statt freier Preisen andere Formen der Zuteilung von Gütern gewählt werden. Dabei interessiert Hayek sich gar nicht für die Sorgen der Vermieter, denen durch Mietzinsbeschränkungen Profite entgehen, das würde er sogar noch hinnehmen. Sein Augenmerk richtet er stattdessen auf die eklatanten Ungerechtigkeiten, die für die Mieter durch einen Mietdeckel entstehen. Hayek ist quasi Anwalt des Mieterschutzbundes. Auch beim Wohnen gilt: Das politisch gut Gemeinte kann böse Folgen haben.
Warum ist der Mietdeckel Gift für Mieter? Weil er die Wohnungsnot nur noch schlimmer macht. So muss es kommen, wenn man politisch an Preisen herumfingert. Marktpreise, so Hayek, dienen dazu, die Nachfrage auf den Umfang des verfügbaren Angebots zu reduzieren. Der Mietdeckel indes setzt den erlaubten Mietzins unter den Preis des freien Markte, was zwingend dazu führen muss, dass zu den herabgesetzten Preisen noch mehr Wohnungen nachgefragt als angeboten werden. Denn Menschen, die bei Marktpreisen in den Berliner Speckgürtel zögen, konkurrieren nun ebenfalls um die günstigeren Wohnungen in Berlin Mitte. Preise senden Signale an die Marktteilnehmer aus. Zugleich macht ein Mietdeckel es weniger attraktiv, neue Wohnungen zu bauen, weil Anlagealternativen (etwas der Aktienmarkt) relativ attraktiver werden. Und, nebenbei gesagt, leidet auch die Qualität der vorhandenen Wohnungen, weil es für die Besitzer keinen finanziellen Anreiz gibt, sie zu modernisieren, wenn sie die Verbesserung nicht wenigstens teilweise an die Mieter überwälzen dürfen.
Die Gesetze der Kausalität
Nicht genug, dass die Wohnungsnot mit einem Mietdeckel zwingend schlimmer werden muss, auch die Verteilung der Wohnungen wird ungerechter. Wenn der Preis nicht den Zuschlag gibt, müssen dubiose Mechanismus die knappen Wohnungen rationieren. Josef Simon, einer meiner Tübinger Philosophielehrer, hat in diesem Zusammenhang immer eine kleine Geschichte erzählt. Die Geschichte spielt in der deutschen Nachkriegszeit als Wohnungen staatlich bewirtschaftet wurden und Männer noch Hüte trugen. Damals also lüpft ein Mann vor einem entgegenkommenden anderen Mann seinen Hut und sein Begleiter will wissen, warum er diesen Mann grüßt. Die Antwort: »Das ist der Leiter des Wohnungsamtes.« Die Antwort befriedigt nur dann, wenn man weiß, dass damals der Leiter des Wohnungsamtes alle Macht über die Vergabe von Wohnungen hatte und man sich tunlichst mit einem derart mächtigen Mann gut stellen sollte, wenn man eine Wohnung suchte. Mein Lehrer Simon leitete daraus übrigens eine mich bis heute überzeugende philosophische Definition der Kausalität ab: »Ein Grund ist die befriedigende Antwort auf die Frage Warum.«
In Wien führt das Ausschalten von Preisen am Wohnungsmarkt dazu, dass man jemanden kennen muss, der wichtig ist, am besten jemanden »in der Partei«. Man sollte den Berliner und Frankfurter Wohnungssuchenden jetzt schon empfehlen, sich rechtzeitig Freunde in der linken Stadtverwaltung zu suchen. Sozial ist das alles nun wirklich nicht, weil – in Wien und anderswo – gar nicht die wirklich Bedürftigen ein Dach über den Kopf bekommen, sondern etablierte Gutverdiener, die vielleicht vor Jahren einmal bedürftig waren, jetzt aber gerne für ihren preiswerten Wohnraum eine Fehlbelegungsabgabe zahlen – wenn überhaupt.
Von Negern und Indianern
Alle anderen aber müssen draußen bleiben, finden keine oder nur eine sehr teure Wohnung. Denn der Mieterschutz schafft Anreize für die glücklichen Insider, die billige Wohnung nie mehr zu verlassen, selbst wenn man im Alter womöglich gar nicht mehr 300 Quadratmeter benötigt. Ökonomisch sinnvoll ist das nicht, gerecht auch nicht: denn da hätte eine Großfamilie Platz. Preise könnten deshalb auch keine spezifischen Signale senden, ob gerade kleine Appartements oder mittelgroße Wohnungen gesucht werden. Das führt dazu, dass immer die falschen Wohnungen gebaut werden. Es wird nämlich so gebaut, als ob die vorhandenen Wohnungen für die neu zu behausende Bevölkerung auf keinen Fall in Betracht kämen. Denn dort zieht ja keiner aus. Hayek gibt dazu eine wunderhübsche Veranschaulichung, die ihn heute völlig aus dem Diskurs katapultieren würde »Es wäre genauso als wenn man in einer bislang ausschließlich von Negern besiedelten Stadt nun auch Indianer unterbringen müsste und dabei um keinen Preis in einem von Negern bewohnten Haus auch Indianer einquartieren dürfte, gleichgültig, ob nicht viele der vorhandenen Häuser sich besser für Indianer als für Neger eignen würde.« In Wien hat sich seit hundert Jahren ein Mietadel (Hayeks »Neger«) herausgebildet: Dor werden günstige Wohnungen innerhalb der Generatonen weitervererbt. Über Untervermietung nicht benötigten Raums lässt sich die günstige Miete sogar noch weiter drücken.
Ist das nun alles »hartherziger« Neoliberalismus? Nein. Ein Kausalzusammenhang besteht entweder oder er besteht nicht, einerlei, ob wir ihn als grausam empfinden oder nicht. »Herzlos« sind in Wirklichkeit jene Politiker, die sich den ungerechten Folgen ihrer Marktinterventionen verschließen. Sie schaden denen, denen zu nützen sie vorgeben. Wien ist kein Vorbild, weder für Rechte, noch für Linke.
Rainer Hank
19. Mai 2019
Der gute EuropäerWo Steve Bannon und Friedrich Nietzsche einander begegnen
Haben Sie in der vergangenen Woche womöglich vor der Tagesschau auch den Wahl-Spot der »Grünen« zur Europawahl gesehen? »Kommt, wir bauen das neue Europa!«, heißt der vor bunten Orchideen und Tulpen vorgetragene Refrain in kaum überbietbarem Pathos, dem freilich eine gehörige Portion Aggression nicht fremd ist. Denn immerhin treten die Grünen in ihrem Aufbauwahn »dem Patriarchat in den Hintern«, weshalb sie vermutlich auf dessen Mithilfe beim Bau des neuen Europa verzichten. Ich habe daraufhin sofort den – übrigens nicht genug zu empfehlenden – »Wahlomat« der »Bundeszentrale für politische Bildung« konsultiert. Und es kam heraus, was herauskommen musste: Nirgendwo sind die Gemeinsamkeiten so gering wie zwischen mir und den Grünen. Deutlich besser sieht es aus bei der FDP, bei Bernd Luckes »Liberal-Konservativen Reformern« und – man lese und staune – bei den »Linken«. Bei allen Unterschieden treten diese drei Parteien deutlich weniger im Ton der »Schicksalswahl« auf.
Für alle, die meinen, das Pathos der Grünen sei nicht mehr steigerungsfähig, empfehlen wir den Flyer der Bewegung »Pulse of Europe« (das sind die, die immer sonntags demonstrieren, um sich von »Fridays for Future« zu unterscheiden). Dort hält man sich mit überholten Nebensächlichkeiten wie dem Patriarchat und seinem Hinterteil gar nicht auf, sondern konzentriert sich auf die ganz großen Dinge der Welt: Freiheit (»wächst nicht auf den Bäumen«), Frieden (»ist kein Naturgesetz«), Zusammenhalt (»kann man nicht online kaufen«) oder kurz und pulsierend: »Es geht um alles.« Wenn es um alles geht, dann muss man schon nicht mehr so genau sagen, worum es im Einzelnen geht, setzt aber all jene ins moralische Unrecht, die sich dem Ganzen verweigern. Und man braucht auch nicht darüber traurig sein, dass das EU-Parlament de facto wenig Macht hat und zudem die Wahlentscheidung für nationale Parteien am Ende in europäisch fusionierten Groß-Fraktionen zur Unkenntlichkeit neutralisiert wird.
Auch die Rechten schwelgen in Europa-Pathos
Es wäre übrigens ein Missverständnis zu meinen, den sogenannten Populisten, die von Grünen & Co. gerne als Europa-Gegner geschmäht werden, gehe dieser hohe Ton des Pro-Europa-Pathos ab. Zum Beweis des Gegenteils lohnt ein Blick in das südöstlich von Rom gelegene ehemalige Kartäuserkloster Trisulti (gegründet 996), wo Donald Trumps ehemaliger Chefideologe Steve Bannon zusammen mit erzkonservativen Katholiken aus der ganzen Welt gerade eine Universität zur Rettung Europas ins Leben gerufen hat. Das weitläufige Areal soll am Ende, so entnehmen wir es einer Reportage der »Financial Times«, einer Mischung aus mittelalterlichem Universitätscampus und antiker Gladiatorenschule gleichen, wo mit den klügsten Gelehrten der Welt (Kommunisten sind nicht erwünscht) am »neuen Abendland« gebaut wird: einem neuen populistisch-nationalistischen Europa. Das hört sich fast an wie im Wahl-Spot der Grünen (»neues Europa«), auch wenn es denen mit Sicherheit nicht passt. Im Kloster Trisulti gibt es »Self-Empowerment« für all jene, denen die Wurzeln Europas (»Athen-Jerusalem-Rom«) und seine Werte noch etwas bedeuten, freilich alles nicht gerade zum Null-Tarif. Mit 50000 Dollar Studiengebühren pro Jahr kalkuliert Bannon. Europa ist schließlich kein Billigheim.
»Mich schaudert das Tremolo in den Europa-Reden«, sagte der Soziologe Hans Joas in einem Interview, das wir vor ein paar Jahren mit ihm geführt haben. Wir mögen uns gar nicht vorstellen, welch Wellen des Schauderns Joas in diesen heutigen Vorwahltagen erleidet. Die »Sakralisierung« und »Idealisierung« Europas sei einer der Gründe, warum so viele von Europa genug hätten, meinte Joas und fügte hinzu: »Die Reaktion auf die Krise Europas darf nicht die abermalige Übersteigerung eines solchen utopistischen Pathos sein.« Doch genauso ist es nun gekommen.
Nietzsche zur Abkühlung
Zur Abkühlung empfehlen wir heute eine kleine Dosis Friedrich Nietzsche. Merkwürdigerweise ist außerhalb gelehrter Kreise (etwa der Heidelberger Akademie der Wissenschaften) wenig bekannt, wie intensiv sich Nietzsche mit Europa auseinandergesetzt hat. Die Figur des »guten Europäers« ist eine Schlüsselfigur in seinen »Der Wanderer und sein Schatten« überschriebenen Aphorismen. Nietzsche sperrt sich gegen die heutige Einteilung der Welt in Pro- und Anti-Europäer. Das tut der Analyse gut.
»Jetzt ist das Zeitalter der Zyklopenbauten!«, schreibt Nietzsche mit Blick auf jene antiken Riesen, die für den Bau der Mauern von Mykene aus unregelmäßig großen Felsblöcken verantwortlich sind. Handel und Industrie hätten einen Zug zur »Vernichtung der Nation« in die Welt gebracht, meinte der Philosoph. Es ist wohl das, was wir heute Globalisierung nennen würden. Das Ergebnis der »Verschmelzung der Nationen« müsste eine »Mischrasse des europäischen Menschen« sein, so folgert Nietzsche, ein Begriff, den man im 19. Jahrhundert noch unbelastet verwenden konnte.
Nietzsches Zyklopenbauten haben wenig gemein mit dem Orchideenkitsch der Grünen von heute. Die Demokratisierung Europas sei unaufhaltsam, so Nietzsche, eine Entwicklung, die er mit größter Skepsis zur Kenntnis nimmt, nicht zuletzt mit Blick auf jene naiven Apostel der modernen Ideen, die diesen Prozess gnadenlos vorantreiben: »Nur kann es einem angesichts derer, welche jetzt bewusst und ehrlich für diese Zukunft arbeiten, in der Tat bange werden: es liegt etwas Ödes und Einförmiges in ihren Gesichtern, und der graue Staub scheint auch bis in ihre Gehirne hineingeweht zu sein.« Gleichwohl: das Rad der Geschichte lässt sich nicht zurückdrehen. Nietzsche ist alles andere als ein Europa-Nostalgiker, auch wenn der Prozess des »werdenden Europäers« fast zwingend auf eine »Vermittelmäßigung des Lebens« hinausläuft. Obendrein werde der »gute Europäer« in einer alles nivellierenden europäischen Republik seine Heimatlosigkeit zur Kenntnis nehmen müssen.
Am Ende lugt für Nietzsche aus der Entnationalisierung und Demokratisierung dialektisch das Gegenbild heraus – die Versklavung des europäischen Menschen. Während aber die Demokratisierung Europas auf »die Erzeugung eines zur Sklaverei im feinsten Sinn vorbereiteten Typus« hinauslaufe, werde auf der anderen Seite der »starke Mensch« noch stärker werden. »Ich wollte sagen: die Demokratisierung Europas ist zugleich eine unfreiwillige Veranstaltung zur Züchtung von Tyrannen.« Es wäre zu billig, wird aber unablässig gemacht, Nietzsche solche Sätze als Wunschbilder um die Ohren zu hauen. Er stellt nur etwas fest: Scheint es nicht fast zwingend, heute an Victor Orban & Co. zu denken, politischen Führergestalten, bei denen Demokratie in tyrannische Demagogie umschlägt?Der »gute Europäer« Nietzsches zeichnet sich dadurch aus, dass er seinen bösen Schatten kennt, als Gefahr benennt und gleichwohl eine bejahende Haltung einnimmt. Das wäre die Botschaft sowohl an die Sakralisierer wie an die Demontierer Europas. Leichter gesagt als getan ist es allemal, aber auch hilfreicher als all das hohle Schicksals-Pathos. In die nüchterne Sprache der politischen Ökonomie übersetzt geht es darum, die Größenvorteile Europas (gerne auch die friedensstiftenden) zu bejahen, aber die enormen Integrationskosten nicht herunterzuspielen.
Rainer Hank
18. Mai 2019
Volksrepublik DeutschlandChina zu imitieren ist kein Zeichen von Stärke, Herr Altmaier!
»Ist die DDR noch zu retten« war die Titelgeschichte des »Spiegel« am 6. November 1989 überschrieben. Die Frage hatte sich drei Tage später von selbst erledigt: Am 9. November brach die DDR zusammen.
Im gleichen Spiegel-Heft vom 6. November 1989, mit gelber Banderole auf der Titelseite beworben, findet sich der Auftakt zu einer dreiteiligen Angstmacher-Serie mit der Überschrift »Japan gegen den Rest der Welt«. Auch diese Geschichte sollte ein historischer Rohrkrepierer werden: Wenige Monate danach erlebte Japan den Kollaps der Aktien- und Immobilienpreise, gefolgt von den »verlorenen zwei Dekaden« aus Depression und Deflation. Schlagartig war die »japanische Bedrohung« aus den Titelgeschichten westlicher Magazine verschwunden. Weil das alles lange her ist, lässt sich aber mit Asien-Geschichten immer noch den Leuten Angst machen: Man muss heute bloß Japan durch China ersetzen. Politiker, die selbst keine Erinnerung haben, schaffen es, ihr industriepolitisches Süppchen aus diesen Ängsten zu kochen. Nennen wir das Phänomen die »Altmaier-Amnesie«, eine schwere Form wirtschaftshistorischer Gedächtnisstörung.
Alles schon mal dagewesen
Werfen wir einen kurzen Blick auf den Spiegel-Dreiteiler über die japanische Gefahr. Er spiegelt die damalige Stimmung präzise. Die westliche Welt werde durch eine »wahre Flut japanischer Exportprodukte« überschwemmt, heißt es da, illustriert mit der Zeichnung einer von Japanern gefütterten Kanone, aus deren Lauf der wehrlose Westen mit billigen Computern, Kassettenrekordern und Autos beschossen wird. Mit Milliarden Dollar kaufe Japan die ganze Welt auf. Als Symbol dafür galt die Übernahme des Tiffany-Buildings an der New Yorker Fifth Avenue oder des Rockefeller Centers durch Mitsubishi. Ziel Nippons sei die »Deindustrialisierung« des Westens. Diesen »Herrschaftsdrang, der die fernöstlichen Geschäftsleute in aller Welt zu gefürchteten Eindringlingen werden« lasse, müsse den Westen ängstigen: »Leichen pflastern den Weg zum Sieg, niederkonkurrierte Unternehmen und ruinierte Branchen in den industrialisierten Altländern, Hundertausende, die sich nach neuen Jobs umgucken müssen, am Ende werden wir alle für die Japaner arbeiten«. Die bellizistische Metaphorik lässt keine Wünsche offen. Am Ende heißt es über den Wirtschaftskonflikt zwischen Japan und dem Rest der industrialisierten Welt: »Der Krieg findet längst statt!«
Welchen Rat hatten die Krieger des Westens damals parat? »Von Japan lernen, heißt siegen lernen!«, hieß die Devise, deren deutscher Promotor der CDU-Politiker Lothar (»Cleverle«) Späth war. Am Band von Daimler, Opel & Co. wurde nun hektisch Gruppenarbeit eingeführt. Die Fertigungsmethoden bekamen japanische Überschriften: »Kaizen« bedeutete das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung der industriellen Fertigung. Wichtigstes Ziel des »Kaizen« war die »Nullfehlerstrategie«, mit der die deutschen Arbeiter am Band gehörig eingeschüchtert wurden. Vorbild für alle Politiker wurde das japanische »Ministry of International Trade and Industry«, kurz Miti, ein bürokratisches Monstrum mit 12000 Beamten, das dem Westen als erfolgreicher »Dirigent des japanischen Konzernorchesters« erschien. Den wirtschaftlichen Erfolg der »Japan AG« erklärte man nicht einfach als normalen Aufholprozess nach den Zerstörungen des Krieges, sondern als politisch gesteuerte, welterobernde Strategie einer »neuen Industriepolitik«, in der die Märkte politisch gelenkt werden müssten: »Die japanische Wirtschaft versteht sich als Teil der vom Kaiser geführten japanischen Großfamilie.«
Mit Marktwirtschaft hat Altmaier nichts am Hut
Es reicht, in den Texten von damals »Japan« durch »China« zu ersetzten und aus dem »Kaiser« die kommunistische »Partei« zu machen, um die Wiederholungsfalle sinnfällig werden zu lassen. Peter Altmaier fungiert als Inkarnation von Lothar Späth: Ein technokratischer Wirtschaftskrieger. Dem Programm »Made in China 2025«, das mit 20 Milliarden Euro Förderung 40 Innovationszentren in den 23 Provinzen Chinas eröffnet, will Altmaier eine »Nationale Industriestrategie 2030« entgegenstellen. Als eine Art neues »Mini-Miti« installiert Altmaier sein Ministerium, das »nationale Champions« in Deutschland ausspäht, »um schwere Nachteile für die deutsche Volkswirtschaft und das gesamtstaatliche Wohl zu vermeiden«. Das einzelne Unternehmen habe lediglich sein eigenes Fortkommen im Blick, nicht das des gesamten Landes, sagt Altmaier. Für letzteres – die globalen Kräfte- und Wohlstandsverschiebungen auszugleichen – ist Minister Altmaier selbst zuständig, gleichsam der menschgewordene objektive Geist nationaler Wirtschaftspflege.
Altmaiers neue Industriepolitik gibt sich kämpferisch, ist in Wirklichkeit aber ein Zeugnis des Kleinmuts. Es ist das Gegenteil von Marktwirtschaft, nämlich staatlich gelenkte Politik, die meint, China imitieren zu sollen: Maoismus light. Altmaier gibt den deutschen Industrieunternehmen eine Bestandsgarantie. Siemens & Co. dürfen es sich bequem machen. Zugleich lässt er aus Deutscher Bank und Commerzbank einen »nationalen Champion« klonen. Hätte nicht schon aus Commerzbank und Dresdner Bank vor Jahre mit Staatsgeld ein nationaler Champion werden sollen? Selbst vor Verstaatlichung schreckt der Wirtschaftsminister nicht zurück. Eine »nationale Beteiligungsfazilität«, also ein deutscher Staatsfonds, soll den »Ausverkauf« nationaler Wirtschaft verhindern. Willkommen in der Volksrepublik Deutschland!
Hidden Champions sind besser als National Champions
»China imitieren zu wollen, zeugt nicht von Stärke«, sagt der China-Experte Horst Löchel, ein deutscher Volkswirtschaftsprofessor: Was Altmaier vorhat bezeichnet er als Rückfall in eine nationalzentrierte Abschottungspolitik, die unserem Wohlstand schadet und nicht nützt. Kaum ein anderes Land hat in den letzten Jahrzehnten wirtschaftlich so sehr von China profitiert wie Deutschland. Verantwortlich dafür sind nicht politisch geklonte »national Champions«, sondern die vielen »hidden Champions« etwa im Maschinenbau, deren Stärke aus technologischer Kreativität und Wettbewerbsbiss resultiert. Wenn chinesische Unternehmen in Deutschland investieren, dann stärken sie den Standort. Altmaier sollte sie nicht in die Flucht jagen, sondern persönlich begrüßen (»Willkommenskultur«). Alles andere ist Protektionismus am Rande des Imperialismus.
Am 10. Juni 1985 gab es in der FAZ ein Leitartikel zur »neuen Industriepolitik« verfasst von Gerhard Fels, dem damaligen Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft und langjährigen Mitglied des Sachverständigenrats. Staatliche Instanzen seien überfordert, wenn sie künftige Gewinner im Wettbewerb herauspicken wollten, schreibt Fels. Das konserviere bloß alte Strukturen und verhindere Innovation und den Strukturwandel zur Dienstleistungsgesellschaft. Fels schließt: »Die Marktwirtschaft ist deshalb so robust, weil sie die Fähigkeit zur Selbstkorrektur besitzt. Krisen hat es immer gegeben. Früher oder später folgt daraus regelmäßig ein neuer Aufschwung.« Solche Sätze eignen sich prima als Arznei gegen die Altmaier-Aphasie. Nicht vor Chinas Stärke müssen wir Angst haben, sondern vor seiner Schwäche. Angst haben müssen wir auch vor der neuen deutschen Industriepolitik: Sie ist die eigentliche Gefahr für unseren Wohlstand.Rainer Hank
18. Mai 2019
Nichts gegen die schwäbische Hausfrau!Sie weiß: Schulden machen ist eine gefährliche Sache
Jetzt geht es der schwäbischen Hausfrau an den Kragen. Sie wenigsten hatte – obzwar längst nicht mehr real existierend – in der Fiskalpolitik als Inbegriff der Tugendhaftigkeit bis zuletzt ihren Stammplatz verteidigt. Berühmt wurde der Satz einer Pflaumenkuchen backenden Uckermärkerin: »Man muss einfach die schwäbische Hausfrau fragen. Sie kennt die Lebensweisheit: Man kann nicht auf Dauer über seine Verhältnisse leben.«
Also sprach die deutsche Kanzlerin und ihr Wort sollte grundgesetzlich wahr werden: Als sogenannte Schuldenbremse. Seit einigen Jahren gibt der Staat nur aus, was er vorher über die Steuern seiner Bürger eingenommen hat. Gleichzeitig schrumpfte die Schuldenquote von einstmals über 80 auf inzwischen nur noch knapp 60 Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt), ein Wert, der bekanntlich die Maastricht-Obergrenze bildet, aber von kaum einem Euroland eingehalten wird. Absolut gesehen sind das immer noch 1,9 Billionen Euro, mit denen die Deutschen bei ihren Gläubigern in der Kreide stehen. Getrost darf sich der Respekt vor der Tugendhaftigkeit deutscher Politiker in Grenzen halten: Angesichts staatlicher Rekordeinnahmen, die auf dem wirtschaftlichen Erfolg deutscher Steuerbürger fußen, ist Sparsamkeit keine große Kunst. Und angesichts niedriger Zinsen bei ordentlichem Wachstum schrumpft die Schuldenquote auch ohne Tugendanstrengung ganz von alleine.Solch komfortable Situationen machen übermütig. Und drohende Konjunkturschwächen machen zugleich erfinderisch. Kein Wunder, dass seit einigen Wochen durchaus vernünftige Ökonomen uns weismachen wollen, Schulden seien besser als ihr Ruf. Mehr noch: Sie sagen, in Wirklichkeit seien nicht die Schulden gefährlich, sondern die Schuldenbremse. Die Zwangsdisziplin der öffentlichen Finanzen verhindere nämlich, dass der Staat ordentlich investiere – in Schulen, Brücken und den flächendeckenden Ausbau des 5G-Netzes bis an jede Milchkanne. Wenn die Angst vor den Funklöchern nicht hilft, dann fruchtet am Ende garantiert die Drohung mit China: Dort gebe es einen zentral planenden Staat, der mit Milliardenausgaben nicht kleckert, sondern klotzt, während hierzulande die schwäbischen Hausfrauen in den Finanzministerien keinen Cent rausrücken. Politiker hören so etwas gerne: Ein Leben auf Pump als Kompensation schrumpfender Steuereinnahmen macht ihnen gute Laune – das Ganze abgesegnet von gut beleumundeten Makroökonomen einer jungen Generation, denen Staatsskepsis als altmodisch gilt. Lange haben sich Politiker über nörgelnde Volkswirte geärgert; die neue Generation der Makros unterstellt ihnen nur Gutes.
Gefährlich neue ökonomische Theorien
Und die schwäbische Hausfrau? Die habe ausgedient, sagen die neuen Ökonomen. Denn wir sehen ja: die Schulden verschwinden fast von alleine, ohne dass den Bürgern eine Rechnung des Finanzministers ins Haus geflattert wäre. Das soll heißen: Das alte fiskalpolitische Dogma, wonach die Schulden von heute die Steuern von morgen sind, hat seine Gültigkeit verloren. Werft das Geld mit Freude raus, um die Rückzahlung kümmert sich das Wirtschaftswachstum und die Geldpolitik, die die Zinsen niedrig hält. Hilfsweise wurde dazu eine schicke Theorie erfunden, die sich »Moderne Geldtheorie« nennt (»Modern Monetary Theorie« oder kurz MMT), deren Lehre – leicht überspitzt – heißt: Wozu braucht der Staat Steuern, wenn er ihm gewogene Notenbanken hat, die ihn finanzieren, indem sie seine Staatsanleihen kaufen und Schuldenkrisen von vornherein verhindern. Was zur Rettung des Euro funktioniert hat (genannt »Quantitative Easing«, kurz QE) soll zum Normalfall werden. Früher hätte man gesagt, eine expansive Geldpolitik im Dienste der Fiskalpolitik führe zur Inflation der Güter-, Aktien- oder Immobilienpreise. Solche Einwände dienen heute allenfalls noch pflichtschuldig als Zitat, um sich dann wieder in der schönen neuen Welt des staatlichen Geldausgebens zu vergnügen.
Also alles prima im neuen Schuldenland? Ich bleibe skeptisch und altmodisch. Gewiss, Schulden sind nicht per se von Übel. Wenn die schwäbische Hausfrau nebenbei als Unternehmerin arbeitet, dann wird sie ihre Investitionen mit Krediten finanzieren: das spornt sie an, Gewinne zu machen, mit denen sie die Schulden tilgen kann und trotzdem am Ende noch etwas übrig hat. Der Staat aber hat keinen Ansporn zur Schuldentilgung – es sei denn, die Verfassung verpflichtet ihn dazu. So sympathisch die Rebellion der neuen Ökonomen daherkommt – das Plädoyer für den staatlichen Pumpkapitalismus ist politisch, psychologisch und historisch naiv. Und auch ein bisschen gefährlich.
Beginnen wir mit dem politökonomischen Einwand: Misstraut den Politikern, wenn sie mit Verweis auf das Gemeinwohl oder für spätere Generationen sich lohnende Investitionen Geld ausgeben, das ihnen nicht gehört! Staatsskepsis bleibt auch heute ein guter Rat. Der Staat ist nicht willensschwach, er handelt sogar rational – und genau das ist gefährlich: Wenn er vorgibt, Gutes zu tun, will er dafür mit Wählerstimmen belohnt werden. Ob die Zinsen immer so niedrig bleiben wie heute, das ist weder gewiss, noch wünschenswert: Die Sparer jedenfalls sind alles andere als angetan, wenn der Staat sie weiterhin kurz hält, um sich selbst schmerzfrei zu entschulden und seine Ausgabenwünsche zu befriedigen. Lieber als mit den neuen Makroökonomen halte ich es mit dem Aufklärungsphilosophen David Hume, in dessen Essay »Über Staatskredit« zu lesen ist: »Für einen Minister ist es verführerisch, die Staatsschulden zu nutzen, um den großen Mann zu spielen, ohne das Volk mit Steuern zu überladen oder eine sofortige Unzufriedenheit gegen sich zu erregen. Die Praxis des Schuldenmachens wird fast unfehlbar von jeder Regierung missbraucht.« Daran hat sich bis heute nichts geändert.Schulden beschädigen Schuldner und Gläubiger
Der psychologische Einwand gibt zu bedenken, dass Schuldner-Gläubiger-Verhältnisse in schlechte Abhängigkeit führen und den Charakter beider beschädigen. Der Schuldner entledigt sich der Verantwortung für seine Ausgabenwünsche und begibt sich in die Hände des Gläubigers. Geber und Nehmer begegnen sich nicht mehr auf Augenhöhe. Der Max-Planck-Ökonom Kai Konrad forscht seit langem über solche destruktiven Schuldverhältnisse und verweist als Beispiel auf den Konflikt zwischen West und Ost in Deutschland: Der Schuldner (Ost) sieht sich als »Opfer« der Gläubiger (West), die ihrerseits ihn bloß als »Nutznießer« seiner Kredite wahrnehmen. Langfristig tut das niemand gut, nährt Ressentiment und linken wie rechten Populismus. Das schließlich führt zum historischen Einwand: Wer sich als Staat zu hoch verschuldet und die Zahllast auf andere abwälzt, kann es sich in der Schuldenfalle bequem machen und sich am Ende von den Gläubigern »retten« lassen. Das nennen die Gläubiger »Erpressung«, die Schuldner schimpfen über »Austerität«. Allemal sind die Beziehungen auf lange Zeit zerrüttet. Austeritätsregime gehen in der Geschichte stets Hand in Hand mit politischer Instabilität. Zum Beweis genügt ein Blick nach Italien.
Was soll ich sagen: Nicht nur aus Heimatliebe bleibe ich ein Freund der schwäbischen Hausfrau. Wir sollten ihre Tugendhaftigkeit bewundern und sie nicht aus einer makroökonomischen Laune heraus aufs Altenteil schicken.
Rainer Hank