Hanks Welt
‹ alle Artikel anzeigen19. August 2025
Schuld und SchuldenWie sich der Teufel in die Wirtschaftswelt verirrt hat
Der Bund macht im kommenden Jahr 174 Milliarden Euro neue Schulden. Ist das viel? Ja, zweifellos. So viel neue Schulden in einem Jahr gab es noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik. Zuletzt waren es im laufenden Jahr lediglich 35 Milliarden Euro.
Ist das auch schlimm? Kommt darauf an. Worauf es ankommt, hängt auch von der Sprache ab, in der man die Verschuldung kommuniziert. Neudeutsch spricht man vom Framing, also dem Rahmen oder Design, innerhalb dessen man die Neuverschuldung erzählt. Wer Schulden sagt, sagt auch, dass es sich um eine »Schuld« handelt. Schuld kann im Deutschen nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine moralische Schuld meinen. Von der Moral ist ein kurzer Weg zur Religion: Wer Schuld auf sich lädt, begeht eine Sünde. In der Literatur werden Schulden gerne als ein »Pakt mit dem Teufel« diabolisiert. Der Teufel verspricht alle Annehmlichkeiten dieser Welt, und zwar sofort, lässt den Schuldner dafür aber bis in alle Ewigkeit zahlen und fordert zudem als Pfand seine Seele. Wer Staatsschulden als Schuld »framt«, weist in aller Regel sogleich darauf hin, dass dafür künftige Generationen werden zahlen müssen. Der Schuldner versündigt sich an seinen Kindern und Enkeln, die dafür – unschuldig, weil noch gar nicht geboren – büßen müssen.
Um das diabolische Framing zu vermeiden, gibt es eine Reihe von Tricks. Gerne wird von »Nettokreditaufnahme« gesprochen. Das hört sich technisch an, haushaltspolitisches Business as usual. Rein sprachlich wird aus den Schulden nun der Kredit. Der ist moralisch und theologisch weitaus besser angesehen: Kredit kommt von credere, was vertrauen und glauben heißt. Der Gläubiger – ein Verwandter des Gläubigen – vertraut dem Kreditnehmer, »er glaubt an ihn«. Und der Kreditnehmer darf das Vertrauen, das in ihn gesetzt wird, nicht enttäuschen. Wer Geld ausgeben will, das er erst noch einnehmen muss, spricht deshalb lieber davon, er müsse einen »Kredit aufnehmen«, statt dass er Schulden macht.
Dreist ist der Versuch, Schulden als Vermögen zu deklarieren. Also Geld, das einem nicht gehört, zu Eigentum zu framen. Und mit diesem Vermögen macht der Staat selbstredend nur Gutes – nämlich dringend nötige Investitionen (in Infrastruktur und Kriegstüchtigkeit). Lars Klingbeil, der Finanzminister, wäre töricht, sich Staatsschuldenminister zu nennen, was er natürlich ist. Lieber sieht er sich als »Investitionsminister«.
Die Hälfte ist Psychologie
Als Schwarz-Rot die Schuldenbremse mit einer Mehrheit des alten Bundestags aushebelte, haben die Politiker nicht gesagt, sie würden jetzt die Schuldenbremse außer Kraft setzen: Sondern sie kreirten zwei milliardenschwere »Sondervermögen«, eine Art Finanzalchemie oder Geldschöpfung aus dem Nichts. Hausbesitzer, denen man zu ihrem neuen Wohneigentum, gratuliert, sagen gerne, das neue Heim gehöre gar nicht ihnen, sondern der Bank. Damit behaupten sie nicht, dass der Sparkassenvorsteher dort wohnt, sondern dass das Haus auf vielen Schulden gebaut ist, für die Zins und Tilgung zu leisten sind. Unternehmen und der Staat sagen, sie begeben Anleihen. Das hört sich ebenfalls viel freundlicher an: Denn auf der anderen Seite des Schuldners sitzt dann der Gläubiger, der seinen Reibach macht. Das verkehrt die Schuldfrage, macht aus dem Kreditgeber einen »Wucherer« – und der Antisemitismus ist nicht weit, wie man an Shylock, dem wahren Helden in Shakespeares »Kaufmann von Venedig« sehen kann.
Die Hälfte der Wirtschaft ist Psychologie. So lautet ein häufig bemühtes Bonmot, das Ludwig Erhard, dem legendären deutschen Wirtschaftsminister zugeschrieben wird. Meistens benutzt man das Diktum, wenn man irgendetwas nicht so genau versteht: zum Beispiel, warum die Leute sagen, alles werde teurer, obwohl die Inflation zurückgeht.
Andreas Peichl, ein Forscher am Münchner Ifo-Institut, hat jetzt mit Co-Autoren in einem Papier die »psychologischen Kosten« des sprachlichen Framings in wirtschaftlichen Diskursen methodisch aufwendig untersucht. Und zwar am Beispiel der Schulden. Dafür machen die Forscher sich den Umstand zunutze, dass im Deutschen, Niederländischen und Schwedischen die moralisch aufgeladene Schuld (und die Sünde) in den finanziellen »Schulden« steckt: »Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern«, heißt es im Vaterunser. Im Englischen und Französischen dagegen heißt die finanzielle Schuld nicht guilt oder culpabilité, sondern debt oder dettes. Schuld hat indogermanische Wurzeln, debt geht auf das lateinische Debitum zurück: etwas, das ich jemandem schulde. Schuld ist ein Vergehen, debt ist eine Verpflichtung.Und siehe da: Eine Schuld bezogene Sprache reduziert die Zustimmung zur Kreditaufnahm und zwar sowohl bei privaten wie bei staatlichen Schulden. Das lässt sich messen: Die Bereitschaft, sich privat zu verschulden, geht um 18 Prozent zurück, wenn man die Versuchspersonen in einer Schulden-Sprache befragt und antworten lässt, verglichen mit einer neutralen, nicht moralisch belasteten Sprache. Bewusst oder unbewusst wird dieser Umstand in wirtschaftspolitischen Auseinandersetzungen strategisch eingesetzt und instrumentalisiert: Politiker, die gegen neue Kredite sind, sprechen von einer »Schuldenorgie«. Politiker, die dafür sind, sprechen von Sondervermögen und Investitionen in die Zukunft. Peichl & Co. haben festgestellt, dass die Linke, die Grünen und die SPD weitaus seltener von »Schulden« sprechen als CDU/CSU und AfD. Es wäre spannend zu sehen, wie sich das bei der Union seit Schwarz-Rot verändert hat.
Linugistische Ökonomik
Ebenso spannend wäre es zu untersuchen, ob und inwiefern der moralisierende Schuld-Diskurs negative oder eher positive Auswirkungen hat auf Wachstum und Wohlstand in diesem Sprachraum. Schulden-Aversion könnt zu sub-optimalen Finanzentscheidungen führen, schreiben Peichl & CO. Das wird so sein: »Auf seinen Schulden reitet der Unternehmer zum Erfolg«, heißt es im Frühwerk des österreichischen Ökonomen Joseph Schumpeter. Denn nur mit Eigenkapital lassen sich keine großen Sprünge machen. Umgekehrt führen hohe Schulden rasch in die Überschuldung – und in die Pleite. Das zeigte sich in der Finanz- und Eurokrise der Jahre 2008ff.
Tatsächlich ist Deutschland privat und öffentlich weniger hoch verschuldet als Länder mit neutralem Schulden-Framing. Die Eigenheimquote ist hierzulande niedriger als in vielen Debt-Ländern. Deutsche »Hausbanken« vergeben Kredite an Unternehmen eher restriktiv; in Debt-Ländern verschuldet man sich eher am Kapitalmarkt, der womöglich das Geld risikofreudiger zur Verfügung stellt. Ist das nun gut oder nicht? Das zu untersuchen wäre spannend. Vielleicht kommt nach der Verhaltensökonomie jetzt die »linguistische Ökonomik« in Mode. Reizvoll wäre es allemal.
Rainer Hank