Hanks Welt

Subjektive Reflexionen, freche Interventionen, persönliche Spekulationen: »Hanks Welt« wirft einen subjektiven Blick auf das Geschehen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Meine Kolumne erscheint Sonntag für Sonntag im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).

Aktuelle Einträge

  • 27. Mai 2025
    Wer stoppt Trump?

    Eugen von Böhm-Bawerk (1851–1914), Nationalökonom und österreichischer Finanzminister Foto Stadt Wien

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wenn es die Politik nicht schafft, dann vielleicht die Märkte

    Die Welt ist aus den Fugen. Wer könnte Donald Trump Einhalt gebieten?

    Gehen wir einige Kandidaten durch. Die amerikanischen Bürger werden es nicht sein. Sie haben Trump ein zweites Mal mit Mehrheit gewählt; seine demokratische Legitimation ist satter als in der ersten Regierungszeit. In Senat und Repräsentantenhaus hat er die Mehrheit. Dass es einen breiten Umschwung der öffentlichen Meinung der USA in den vergangenen Wochen gegeben hätte, davon ist nichts bekannt. Selbst aus Unternehmen, denen Trumps Zollpolitik nachweislich schaden wird, ist nichts von einem Aufstand der Belegschaften oder ihrer Gewerkschaften zu hören. Eine revolutionäre Stimmung sieht anders aus.

    Das Vertrauen in unabhängige rechtsstaatliche Institutionen als liberales Bollwerk gegen autokratische Politik ist in den vergangenen Wochen ebenfalls geschwunden. Vielfach ist Opportunismus zu sehen, sind an Trump gerichtet Loyalitätsadressen zu vernehmen. Richter urteilen Trump-freundlich, Großkanzleien schicken Ergebenheitsversprechen. Womöglich bringt Trump auch die unabhängige Notenbank Fed zum Einsturz, der er seine Vorstellungen einer wachstumsfreundlichen Zinspolitik aufzwingen will. Den Präsidenten der Fed beschimpft er als »Loser«, kündigte anschließend »gnädig« an, ihn gewähren zu lassen und nicht zu feuern.

    Blieben schließlich die Intellektuellen als potenzielle Akteure des Widerstands. Doch auch hier ist Fehlanzeige. Kluge Männer mit Geld (J. D. Vance, Peter Thiel, Alexander Karp) haben lange vor der Wahl schon die Lager gewechselt. Einzelne kritische Wissenschaftler verlassen die USA. Ein Braindrain ist das noch nicht; niemand zahlt seine Professoren so gut wie amerikanische Bildungseinrichtungen. Ganze Universitäten wie die Columbia-Universität in New York haben kapituliert. Andere Eliteinstitutionen wie Harvard widersetzen sich (noch).

    Die Aktienbörsen sind schlau und schnell

    Und was ist mit den Märkten? Einiges deutet darauf hin, dass Trump vor niemand anderem so viel Respekt hat wie vor Mr. Market. Als nach der Ankündigung der Zollmauer auf Importe aus Europa die Aktienmärkte einbrachen und der Dollar schwach wurde, knickte Trump ein und setzte die Zölle für 90 Tage aus. Das ist ein Zeichen, muss aber nicht viel heißen: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Die Zölle auf Produkte aus China und anderen asiatischen Ländern hat der Präsident nicht ausgesetzt. Trump ist niemand, der seine Ziele über den Haufen wirft. Wobei erschwerend hinzu kommt, dass diese Überzeugungen außerordentlich flatterhaft sind.

    Werden wir grundsätzlicher. Wie reagieren Finanzmärkte auf politische Ereignisse? Der S&P-500–Index, der den Wert der wichtigsten US-Unternehmen abbildet, hat sich in den knapp 70 Jahren, seit es ihn gibt, wenig von politischen Krisen irritieren lassen. Die Aktien des Börsenbarometers haben sich in dieser Zeit ver-250–facht, was einer durchschnittlichen jährliche Rendite von acht Prozent entspricht. Dabei waren die politischen Krisen in dieser Zeit nicht von Pappe: Korea-Krieg, Sputnik-Schock, Kubakrise, Ölkrise, Finanz-, Euro- und Coronakrise. Jedes Mal zeigt die Kurve einen kleinen oder größeren Zacken nach unten. Doch schnell kam Erholung.

    Wenn sich also die Aktienbörsen durch politische Krisen nicht irritieren lassen, so ist das eine gute Nachricht für Aktionäre, aber nicht zwingend für unsere Frage, wer Trump Einhalt gebieten könnte. Denn der könnte darauf setzen, dass die Märkte sich schon wieder fangen würden, einerlei, was er so treibt. Doch so einfach ist es nicht. Bei Finanz- oder Eurokrise war klar, dass die Krise vorüber geht und danach die Welt wieder mehr oder weniger so sein würde, wie sie es vorher war. Die neue Weltordnung, die Trump zu erzwingen sucht, könnte dauerhaft sein – und genau deshalb auf den Widerstand der Märkte stoßen.

    Schlag nach bei Böhm-Bawerk

    »Macht oder ökonomisches Gesetz« heißt der Klassiker zu unserem Thema. Die Schrift, 1914 erschienen, stammt von dem österreichischen Ökonomen und Juristen Eugen Ritter Böhm von Bawerk (1851 bis 1914). Böhm-Bawerk war nicht nur Hochschullehrer, sondern dreimal auch österreichischer Finanzminister. Die zentrale Fragestellung seines Aufsatzes lautet, ob private oder staatliche Macht die Chance haben, sich gegen das ökonomische Gesetz durchzusetzen. Und die Antwort, kurzgefasst, lautet: Nein. Böhm-Bawerk ist der Meinung, dass der Menschenwille, und komme er auch in Gestalt des mächtigen Staatswillens daher, gegen die ökonomischen Gesetze machtlos bleibt und dass auch mit »künstlichen Eingriffen gesellschaftlicher Gewalten der Strom des wirtschaftlichen Geschehens sich nicht aus gewissen Bahnen herausdrängen« lässt.

    Trifft die These zu, bräuchten wir uns vor der Macht Trumps nicht sonderlich zu fürchten, denn das ökonomische Gesetz zwingt sie früher oder später nieder. Es wäre zugleich eine Warnung an alle Mächtigen oder Möchtegernmächtigen, sich die Vergeblichkeit ihres Anspruchs vor Augen zu führen. Schließlich gibt es keine Macht außer der Macht des ökonomischen Gesetzes, der wir uns beugen müssten. Ein Gesetz aber, selbst wenn es kein Naturgesetz ist, entzieht sich – anders als von Menschen gemachte Institutionen – dem machtbewussten, manipulierenden Zugriff der Menschen.

    Böhm-Bawerk leugnet nicht das Vorhandensein privater oder staatlicher Macht. Im Gegenteil sieht er in der modernen Wirtschaftsentwicklung den Einschlag sozialer Macht immer stärker werden. Trusts, Kartelle, Monopole aller Art drängen auf der einen Seite in den Markt, Arbeiterorganisationen und Gewerkschaften drohen von der anderen Seite mit Streiks und Boykotten, allemal mit der Absicht, in die Preisbildung und in die Verteilung von Einkommen und Vermögen einzugreifen und das Marktergebnis zu manipulieren. Der Markt ist vermachtet. Monopole wollen durch die Verknappung des Angebots und höhere Preise die Produzentenrente vergrößern auf Kosten der Konsumentenrente. Das ist der Schaden für die Allgemeinheit, den sie anrichten. Eine ähnliche, womöglich noch verheerendere Wirkung haben Zölle und aus ihnen resultierende Handelskriege. Allemal geht das zu Lasten der Verbraucher. Sie erleiden Wohlfahrtsverluste, weil das Angebot größer sein könnte als es tatsächlich ist, noch dazu mit einem für sie günstigeren Preis. Entstandene Wohlfahrtsverluste sind letztlich die ökonomische Begründung dafür, warum politische Macht schädlich ist – und sich auf Dauer nicht durchsetzen lässt.

    Vielleicht sollte man als Warnung einem der ökonomischen Berater Trumps Böhm-Bawerks Schrift in die Hand drücken. Der Text wurde 2010 unter dem Titel »Control or economic law« ins Englische übersetzt und ist online beim Mises Institute verfügbar. Ob es etwas nützt? Ich fürchte Nein.

    Rainer Hank

  • 10. Mai 2025
    Ein Herz aus Stammzellen

    Ein künstlich gezüchtetes Herz Foto Expo Osaka

    Dieser Artikel in der FAZ

    Gibt es noch Fortschritt und wie misst man ihn?

    Ein fliegendes Taxi, ein selbstfahrender Omnibus und ein aus Stammzellen gezüchtetes, etwa drei Zentimeter großes Herz, das schlägt. Das sind einige der Highlights auf der Expo25, die am vergangenen Wochenende im japanischen Osaka eröffnet wurde. Die Auftaktveranstaltung hat ein androider Avatar moderiert.

    Der zur Besichtigung freigegebene Fortschritt wirkt immer noch als Magnet: Auf 28 Millionen Besucher hoffen die Expo-Veranstalter. Aber sind androide Roboter oder fliegende Taxis überhaupt ein echter Fortschritt? Ein Blick auf die erste Expo im Jahr 1851 zeigt die Fortschrittsdifferenz: Was die Besucher damals im Londoner Hydepark zu sehen bekamen, hatte es in sich. Es waren die spektakulären Erfindungen der sogenannten Ersten industriellen Revolution – von der Dampfmaschine über den Telegrafen bis zum Jacquard-Webstuhl, der mit Lochkarten arbeitete und als Vorläufer der Computerprogrammierung gilt: Disruptive Neuerungen, von denen der Wohlstand der Menschheit bis heute zehrt

    Der Fortschritt ist auch nicht mehr das, was er einmal war. Darüber habe ich mich kürzlich mit einem Freund gestritten. Der vertrat ziemlich apodiktisch die Auffassung, echte Durchbrüche in Wissenschaft und Technik gäbe es heute kaum noch. Gut, der Mann ist Archäologe und aus seiner Perspektive markieren die Griechen des 5. Jahrhunderts vor Christus ohnehin den Höhepunkt der menschlichen Zivilisation, von wo aus es eigentlich nur bergab gehen konnte. Seine Beispiele freilich kamen aus den letzten 150 Jahren. Ob die Relativitätstheorie, die DNA-Struktur oder der Transistor: Solch bahnbrechende Entdeckungen widerlegen frühere Theorien, verändern unsere Sicht auf die Welt und lenken die technische Entwicklung in neue Bahnen – sind heute aber rar geworden.

    Tatsächlich ist der Innovationsindex bei wissenschaftlichen Publikationen (was es nicht alles gibt) seit 1945 um 91,9 Prozent gesunken, wie ich einem Artikel des Wissenschaftsmagazins »scinexx.de« entnehme, den mein Freund zur Untermauerung seiner These nachschob. Ist der menschliche Geist müde geworden? Oder sind die Usancen des Wissenschaftsbetriebs – »publish or perish«, Peer Review, Drittmittelzwang – dazu angetan, nur noch risikoarme Projekte zu fördern, die lediglich laues Mittelmaß produzieren?

    Nichts Neues seit dem Halbleiter

    Insbesondere der Halbleiter hatte es meinem Freund angetan. Der wurde bereits 1925 erfunden, also genau vor hundert Jahren, und von dem österreichisch-amerikanischen Physiker Julius Edgar Lilienfeld zum Patent angemeldet. Das war der Grundbaustein der Computertechnologie und damit auch der Künstlichen Intelligenz. Und natürlich auch die Voraussetzung für den Chip-Krieg, der derzeit weltweit mit aller Härte geführt wird.

    Nichts Neues unter der Sonne? Ich versuchte gegenzuhalten. Der Halbleiter als Erfindung in Ehren. Bis daraus aber mein iPhone (inklusive Siri, Perplexity und einer App, die Sprache in Text wandelt) wurde, waren doch noch ein paar Zwischenschritte erforderlich, denen ich ebenfalls Kreativität zubilligen würde. Und überhaupt: Bis sich die Innovationskraft und der gesellschaftliche Nutzen einer Erfindung zeigt, vergehen oft Jahrzehnte. Waschmaschine und Geschirrspülmaschine traten ihren Siegeszug durch die Haushalte der Mittelschichten erst nach dem Zweiten Weltkrieg an (das nennt man Skalierbarkeit), obwohl es die entsprechende Technik lange vorher schon gab. Wer will wissen, ob neue bahnbrechende Erfindungen nicht längst schon auf der Welt sind – es aber noch dauert, bis wir sie bei der nächsten Expo in Dubai oder Belgrad bewundern können?

    Ehrlich gesagt, ich war von mir selbst als Gegenredner nicht besonders überzeugt. Was macht man in so einer Lage? Lesen und Nachdenken. Was ist überhaupt Fortschritt und wie misst man ihn? Maß allen Fortschritts zumindest für Wirtschaftswissenschaftler ist das Wachstum, das sich an der Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ablesen lässt. Lässt man sich darauf ein, so zeigt sich eine gigantische Fortschrittsgeschichte seit dem Beginn der industriellen Revolution Anfang des 19. Jahrhunderts: Das Bruttosozialprodukt der Welt entwickelte sich seit 1820 von mehr oder weniger Null auf über 100 Billionen Dollar. Die Lebenserwartung der Menschen lag um 1820 zwischen 28 und 35 Jahren. Heute sind es über 70 Jahre. Und der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, ist zwischen 1820 und heute von 75 Prozent auf gut zehn Prozent zurückgegangen. Beeindruckende Zahlen.

    Woher kommt das Wachstum? Seit den Arbeiten der amerikanischen Ökonomie-Nobelpreisträger Robert Solow und Paul Romer gilt der technische Fortschritt als Treiber des Wachstums. Er markiert jenen Überschuss menschlicher Ideen am Wachstumsgewinn (»Total Faktor Produktivität«), der sich nicht durch den Einsatz an mehr Maschinenstunden oder mehr Arbeitsstunden errechnet.

    Was taugt das BIP?

    Indes: Auch mit dem Überschuss an Ideen ist es heute nicht mehr wie es einmal war. Die Total-Faktor-Produktivität geht seit den fünfziger Jahren in allen Industrieländern deutlich zurück. Woran das liegt, darüber streiten die Gelehrten. Die britische Ökonomin Diane Coyle hat gerade ein schönes Buch geschrieben: »The Measure of Progress« (Das Maß des Fortschritts); vor zehn Jahren hat sie eine vielgelobte Geschichte des BIP geschrieben. Eine zentrale These des neuen Buches: Das BIP wurde in den vierziger Jahren für eine industrielle Wirtschaft erfunden, vermag indes die Realität digitaler, wissensbasierter Ökonomien nur unzureichend abzubilden. Und wie sich die von Künstlicher Intelligenz geschaffenen Effizienzgewinne im BIP messen lassen, ist ohnehin die große Frage.

    Daraus folgt für Diane Coyle: Dass wir Innovationen nicht sehen, heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Es heißt lediglich, dass unsere Messmethoden nicht auf eine neue vielfach in anonymen Clouds dematerialisierte Fortschrittswelt passen. Auf einer Expo lassen sich solche Errungenschaften menschlicher Kreativität nicht gut ausstellen.
    Fortschritt braucht ein quantifizierbares Maß, wenn wir ihn nicht einfach zu einem subjektiven Gefühl schrumpfen wollen, das keine intersubjektive Prüfung gestattet. Das BIP, ein geniales Maß, aufzugeben, kann nicht die Lösung sein. Das BIP an unsere neue Welt anzupassen, wäre indessen selbst eine wichtige Innovation in der menschlichen Fortschrittsgeschichte.

    Rainer Hank

  • 14. April 2025
    Lauter Opportunisten

    Donald Trump kassiert Diversity, Equity, Identity Foto Archiv

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum die Konzern sich an Trump ankuscheln

    Nehmen wir an, eine Investmentgesellschaft bietet ihren Kunden einen Fonds als »grünes Impact-Investment« an und einen anderen als »langfristig risikooptimiert«. Was ist der Unterschied zwischen den beiden Finanzprodukten? Antwort: Es gibt keinen. Hinter den beiden Überschriften verbirgt sich jeweils der gleiche Fonds. Die Anschlussfrage: Warum machen die das dann? Antwort: Weil das eine Produkt in Deutschland verkauft wird, das andere in den USA. In Deutschland müssen die Manager die ESG-Regeln einhalten, in Amerika sind die vergleichbaren DEI-Regeln unter Trump verboten. Das ist beide Male jeweils rechtlich bindend und muss im »reporting« nachgewiesen werden.

    Zum Hintergrund: DEI bedeutet »Diversity, Equity, Inclusion« – grob übersetzt als »Vielfalt, Gleichheit, Einbeziehung«. Diese Vorschriften fordern, in Organisationen ein Umfeld zu schaffen, in dem alle Mitarbeiter unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit und sexueller Orientierung gleiche Chancen und respektvolle Behandlung erfahren. Ziel von DEI war es, eine Kultur der Zugehörigkeit zu etablieren. Präsident Trump hat DEI kassiert, weil er es für den Ausbund des Woke-Kapitalismus hält, der seinerseits massiv diskriminierend sei: Leistungsbereite Männer zum Beispiel haben Nachteile gegenüber Frauen oder Queer-Personen mit dunkler Hautfarbe, sofern diese »nur« wegen Geschlecht und Hautfarbe bevorzugt werden. Die Nichteinhaltung der Anti-Woke-Gesetze kann zu Strafen und zu möglichen Einschränkungen des Geschäftsbetriebs in den USA führen. Die amerikanische Anwältin Rachel Cohen hat gerade berichtet, wie rabiat die Trump-Administration vorgeht – und sich selbst mutig dem Oktroy verweigert (FAZ vom 25. März). Die meisten Firmen sind nicht mutig und fügen sich.

    ESG steht für Enviromental, Social und Governance. Auf deutsch »Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung«. ESG ist in der EU vorgeschrieben mit dem Ziel, die Unternehmen zu Nachhaltigkeit und zur Wahrnehmung ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu verpflichten. Darunter fallen Vorschriften für gute Arbeitsbedingungen, die Einhaltung von Menschenrechten, von Diversität und vor allem von klimafreundlichem Zielen. Ähnlich wie in den USA nur mit umgekehrten Vorzeichen führen Zuwiderhandlungen zu Strafen und der Drohung langfristigen Marktausschlusses. Und die Firmen fügen sich.

    »Reframing« heißt die Devise

    Global tätige Konzerne, die in der EU und in den USA Geld verdienen wollen, geraten durch die sich widersprechenden Vorschriften in die Bredouille. Sie müssen sich etwas einfallen lassen. Das ist die Stunde der Juristen und Unternehmensberater. »Re-Framing« heißt das Zauberwort. Es geht darum, DEI sprachlich zu entschärfen. Denn natürlich sind »grüne« Finanzprodukte, die in klimafreundliche Firmen investieren, automatisch »langfristig risikooptimiert«; langfristig werden nur solche Firmen überleben. Tunlichst vermeiden sollte man, von »nachhaltig risikooptimiert« zu sprechen, denn das Wort »nachhaltig« wäre woke kontaminiert. Angepasste Unternehmen reden jetzt auch nicht mehr über Inklusion und Diversität, sondern über Innovation, Performance durch Vielfalt und Talentförderung.

    Wer würde bestreiten, dass die Förderung vieler Frauen der innovativen Talentförderung dient? Man muss das Kind jetzt nur einfach anders nennen. Hatte es bislang geheißen, man strebe nach »Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion«, so wird diese Formel heute ersetzt durch das Bekenntnis zur Förderung eines »integrativen Umfeldes, das Mitarbeiter zu Höchstleistungen anspornt«. Okay, die neue Formulierung klingt einen Tick mehr meritokratisch und weniger nach Work-Life-Balance-Bequemlichkeit. Ob die Rechnung aufgeht, ist unsicher. Die Leute in der Trump-Administration sind nicht doof und ziemlich unberechenbar, heißt es: Regelmäßig werden die neuen Vorschriften verschärft.

    Vorher ging es andersrum zu. Die Firmen haben alle Aktivitäten so lange gebogen, bis sie grün und klimafreundlich wurden, was man dann als »greenwashing« bezeichnete. Und sie haben sich tunlichst gehütet, ihr Geld in die Rüstungsindustrie zu investieren. Denn Produkte, die Menschen töten, widersprechen den ESG-Regeln. Ohne ESG wäre Europa heute auf den neuen kalten Krieg besser vorbereitet.

    Firmen verhalten sich opportunistisch. Nachdem zunächst in Amerika ein Unternehmen nach dem anderen umgefallen ist – angeführt von den Tech-Giganten im Silicon Valley -, zieht jetzt der Rest der Welt nach. Sie entfernen die vollmundigen DEI-Angebereien von ihrer Homepage, kassieren die Stabsstelle des »Chief Diversity Officers«, und übertrumpfen sich in Ergebenheitsadressen gegenüber der Trump-Administration. Man könnten von Herden-Verhalten sprechen.

    Schlag nach bei Milton Friedman

    Soll man den Unternehmen diesen Opportunismus vorwerfen? Ich fände das bigott. Ziel eines Unternehmens ist es nicht, Oppositionspolitik zu betreiben. Ziel ist, hart kapitalistisch formuliert, Geld zu verdienen, Profite zu machen zum Wohle der Aktionäre. Oder humanistischer formuliert: Ziel eines Unternehmens ist es, die Bedürfnisse seiner Kunden zu befriedigen. Es sei wichtig, »dass die Patienten uneingeschränkten Zugang zu unseren innovativen Medikamenten und Diagnostika haben«, verlautet aus dem Schweizer Pharma-Konzern Roche. Wollen wir lieber keine gute Medizin bekommen, weil der entsprechende Pharmakonzern ein Signal gegen Trump setzen wollte? Eher sollte man darüber nachdenken, ob es eine gute Idee ist, dass Staaten DIE- oder ESG-Regeln erlassen.

    Sollen die Firmen lieber moralisch-politisch korrekt bleiben und sich vom amerikanischen Markt zurückziehen? Sollen sie nicht. Sie sollen dann aber auch keine Kampagnen gegen die AfD unterstützen. Und sich als moralische Saubermänner und Sauberfrauen gerieren im Auftrag der Rettung der Demokratie. Vieles spricht in der Tat dafür, dass die liberale Demokratie derzeit enorm gefährdet ist. Sie zu retten ist Sache der Zivilgesellschaft. Wollen wir wetten: Käme die AfD an die Macht, eine Vorstellung, bei der es einen schüttelt, die deutschen und internationalen Unternehmen wären die ersten, die sich in Ergebenheitsadressen an Alice Weidel übertreffen würden.

    Am Ende läuft es auf die viel gescholtene Friedman-Doktrin hinaus: The Social Responsibility of Business Is to Increase Its Profits. Es ist das Ziel eines Geschäfts, Geschäfte zu machen. Konzerne sind keine politischen oder moralischen Anstalten. Sie sollen nicht die Welt verbessern – oder anders gesagt: Sie sollen die Welt verbessern, indem sie den Menschen zu besseren Produkten und Dienstleistungen verhelfen. Das ist dem Kapitalismus nachweisbar brillant gelungen seit dem Boom der industriellen Revolution Anfang des 19. Jahrhunderts: Wir alle leben länger, leben gesünder, leben reicher.

    Rainer Hank

  • 07. April 2025
    Die Ordnung der Liebe

    Erfinder des »Ordo Amoris«: Augustinus von Hippo (354 bis 430) Foto Deutsches Buch- und Schriftmuseum

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum nicht alle Menschen zu Brüdern und Schwestern werden können

    Dass alle Menschen Brüder werden, ist bekanntlich die große Hoffnung Friedrich Schillers. In einer frühen Fassung der »Ode an die Freude« von 1785 wird die Idee allseitiger Verbrüderung sogar als Hoffnung auf eine klassenlose Gleichheit konkretisiert: »Bettler werden Fürstenbrüder.« Die Zeile durchweht der Geist der französischen Revolution, die von »Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit« träumt: Seid umschlungen Millionen.

    Dass alle Menschen Brüder werden, ist ein schöner Gedanke (auch wenn Brüder nicht immer in friedlicher Harmonie miteinander leben). Doch es ist eben auch ein illusorischer Gedanke. Schon Beethoven hatte Zweifel, ob die universale Verbrüderung möglich wäre, wie er im September 1795 in einem Brief an einen Freund schreibt, auf den mich der Kölner Staatsrechtler Otto Depenheuer aufmerksam macht: »Wann wird der Zeitpunkt kommen, wo es nur Menschen geben wird? Das werden wir nicht sehen, da werden wohl noch Jahrhunderte vorübergehen.«

    JD Vance, der vorlaute amerikanische Vizepräsident, wird den Brief Beethovens mutmaßlich nicht kennen. Aber auch er bezweifelt, dass die Utopie einer allseitigen Brüderlichkeit zur konkreten Maxime für die Flüchtlingspolitik werden könne. Seid umschlungen Millionen, davon haben sich die meisten Einwanderungsländer inzwischen verabschiedet. Doch nach welchen Kriterien sollen wir entscheiden, um wen wir uns vorrangig kümmern sollen?

    Als Gewährsmann nimmt JD Vance den Kirchenlehrer Augustinus (354 bis 430) in Anspruch, der sich für eine klare Rangordnung der Nächstenliebe ausgesprochen habe. »Du liebst deine Familie, dann liebst du deinen Nachbarn, dann liebst du deine Gemeinschaft, und dann liebst du deine Mitbürger in deinem eigenen Land.« Und erst dann könne man sich um den Rest der Welt kümmern. Das, so Vance, sei die augustinische Lehre einer »Ordnung der Liebe« (»ordo amoris«), die eben priorisiere, wer von den Nächsten einem näher und wer ferner sein solle. Der Heilige Augustinus, das muss man wissen, ist für Vance nicht irgendein Heiliger. Ihm verdankt er nach eigener Aussage die Motivation zur Konversion: von einer lockeren Zugehörigkeit zu einer evangelikalen Pfingstkirche zu einem strengen Katholizismus, den er allein deshalb bevorzugt, weil er »alt« ist und die ewigen Werte der Familie, der Moral und Tugendhaftigkeit hochhält. Es wird kein Zufall sein, dass auch Augustinus ein Konvertit war.

    Priorisierung bei knappen Ressourcen

    Die Idee des Ordo Amoris formuliert das Gebot der Nächstenliebe als ökonomische Theorie: Wenn die Ressourcen begrenzt sind – und Ressourcen sind immer knapp! – muss man priorisieren. Das ist im Gesundheitswesen nicht anders als in der Flüchtlingspolitik. Wir können nicht die ganze Welt retten. Und schon gar nicht gleichzeitig.

    Erwartbar fiel der Rest der Welt sogleich über JD Vance her. Nach dem Motto, alles was im Umkreis von Trump gesagt wird, kann nur Blödsinn sein. Doch JD Vance ist nicht blöd. Sieht man allerdings genauer hin, dann plädiert Augustinus zwar für eine Bevorzugung der Nahen in der Liebe. Aber für die enge Ideologie der Familie, wie sie im rechten amerikanischen Katholizismus vertreten wird, kann der Ordo Amoris nur mit Biegen und Kneten in Anspruch genommen werden. Deshalb noch einmal Augustinus wörtlich: »Alle Menschen sind in gleicher Weise zu lieben. Da man aber nicht für jedermann sorgen kann, so muss man vornehmlich für jene sorgen, die einem durch die Verhältnisse des Ortes, der Zeit oder irgendwelcher anderer Umstände gleichsam durch das Schicksal näher verbunden sind.«

    Gewiss ist man mit seiner Herkunftsfamilie durch das Schicksal besonders verbunden, was eine besondere Verpflichtung zur Sorge impliziert. Aber eben nicht nur. Andererseits verbietet es sich aus dieser Perspektive, Millionen Hilfsbedürftiger aus der Ferne in unsere Nähe einzuladen (»Pullfaktor«), um sie mit unserer Liebe zu umschlingen. Thomas von Aquin (1225 bis 1274), ein Kirchenlehrer des Mittelalters, hat den Ordo Amoris als Ordo Caritatis präzisiert (den Unterschied zwischen Amor und Caritas vernachlässigen wir hier). Natürlich müssten wir uns als Erstes um jene kümmern, die uns räumlich am nächsten seien. Das aber könne je nach den verschiedenen Erfordernissen der Zeit, des Ortes und der jeweiligen Angelegenheit variieren. »Denn«, so Thomas, »in bestimmten Fällen sollte man beispielsweise einem Fremden in äußerster Not eher helfen als dem eigenen Vater, wenn dieser nicht in einer so dringenden Not ist.«

    Auf diese Weise wird auch das Missverständnis korrigiert, der Auftrag, den Nächsten zu lieben, bedeute, alle Menschen zu lieben. Nicht jeder ist mein Nächster, würde Thomas sagen: Aber jeder kann mein Nächster werden. Oder noch einmal anders: Zwar gilt das Liebesgebot universal, was einen aber zugleich nicht von der Aufgabe entbindet, nach Präferenzregeln zu fragen, wer wem gegenüber primär beizustehen habe.

    Charity begins at home

    Der Ordo Amoris und die katholische Lehre der Subsidiarität weisen eine verblüffende Ähnlichkeit auf mit der Schule der sozialen Marktwirtschaft, die gerne auch Ordo-Liberalismus genannt wird. Insbesondere Wilhelm Röpke, ein viele Jahre in Genf lehrender protestantischer Wirtschaftswissenschaftler, vertrat die Auffassung, Nächstenliebe müsse zuhause beginnen: »Charity begins at home«. Kümmere Dich zuerst um die Dir Nahestehenden, bevor Du gleich die ganze Welt zu retten Dich anschickst. Oder in einem anderen Bild Röpkes: Wenn wir ein Haus bauen, beginnen wir auch nicht mit dem Dachstuhl, sondern mit den Fundamenten. Mit dieser Richtschnur offenbart der Ordoliberalismus zweifellos seine konservativen Wurzeln, gehört doch das Denken in Ordnungen in die aus christlicher Tradition sich speisende ständisch-konservative Tradition der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, in der die Gründer der Sozialen Marktwirtschaft ihre formative Phase hatten. Es geht ihnen um den Respekt vor der von Gott gesetzten Ordnung im Unterschied zu den von Menschen gemachten Normen. Hier angekommen sind die Unterschiede zwischen JD Vance und Wilhelm Röpke auf einmal gar nicht mehr so groß.

    Dafür, diese Nähe offenbart zu haben, müsste man JD Vance eigentlich dankbar sein, den es gewiss schütteln würde, würde man ihn einen Liberalen nennen. Macht man freilich Halt vor dem reaktionären Naturrecht, dann bleibt als positiver Ertrag des Denkens über den »Ordo Amoris« eine Präferenzethik der Nähe, die das fraglos vorhandene schlechte Gewissen entlasten kann, das uns angesichts des vielen Elends in der Welt regelmäßig befällt. Dieses schlechte Gewissen wird aber nur oberflächlich ruhig gestellt durch eine Gesinnungsethik des »Seid umschlungen Millionen«.

    Rainer Hank

  • 29. März 2025
    Streicht das Elterngeld

    Elternzeit für alle Foto planet-fox/pixabay

    Dieser Artikel in der FAZ

    Der Sozialstaat ist nur gut, wenn er effizient ist

    Wie kommt es bloß, dass mir in diesen Tagen immer wieder Vorschläge von Ökonomen in den Sinn kommen, bei Wahlen der Volksvertreter (auch) das Los entscheiden zu lassen. Auf diese Weise könne korrigiert werden, dass Politiker vor der Wahl Versprechungen machen, die sie hinterher wieder kassieren – und die Falschen an die Macht kommen. Sowohl im alten Athen wie auch in Venedig bei der Wahl der Dogen hat man mit dem Zufallsentscheid als demokratischem Prinzip gute Erfahrungen gemacht.

    Okay, das wird sich jetzt nicht so schnell ändern lassen. Dass aber seit dem 23. Februar die Grünen für eine disziplinierte Haushaltspolitik kämpfen und damit fast wörtlich so argumentieren, wie die Union vor der Wahl, ist schon gewöhnungsbedürftig. Hätten die Bürger das geahnt, das Ergebnis für die Grünen wäre signifikant anders ausgefallen. An der Macht hätten freilich auch die Grünen das Füllhorn in die Hand genommen, während die Union in der Opposition so getönt hätte wie vor der Wahl.

    Egal ist es nicht, womit man anfängt bei der Reform des Staates: Ausgabenorgien oder harte Einschränkungen. Wer als Erstes 500 Milliarden Euro für Infrastruktur locker macht, hat sich damit eine Lizenz erteilt, den Sozialstaat weiter auszubauen, anstatt ihn effizienter zu gestalten. Merz I (vor der Wahl) hatte versprochen, erst zu reformieren, Einsparpotentiale zu identifizieren und erst danach – wenn nötig – Schulden zu erhöhen. Merz II (nach der Wahl) macht es exakt umgekehrt – mit dem Verweis auf das Erpressungspotential der SPD und mit dem sturen Ziel, auf alle Fälle Kanzler zu werden – whatever it takes. »Zeitenwende« wird übersetzt als Erlaubnis, fiskalpolitisch in die Vollen zu gehen. »Zeitenwende« soll keinem Bürger etwas abverlangen. Wehtun ist verboten.

    Kriterium für Einsparungen müsste sein: Wie zielführend und wie effizient ist die derzeitige Regelung? Effizienz vor Geld. Ich hätte da einen besonders unbeliebten Reformvorschlag: Schafft das Elterngeld ab! Die Idee kam vor ein paar Wochen vom Ifo-Chef Clemens Fuest, der das Elterngeld als »nice to have« bezeichnete, will sagen: kann wegfallen. Nachdem die Empörung überkochte, hat Fuest seinen Vorschlag nicht mehr oder nur noch schmallippig wiederholt – und sich merkwürdigerweise für die 500 Milliarden Infrastrukturschulden ausgesprochen, obwohl er die gar nicht gut findet.

    Nice to have

    Das Elterngeld ist nice to have. Mehr nicht. Es ist unverhältnismäßig teuer, erreicht die selbstgesetzten Ziele nicht, oder nur sehr unzureichend und privilegiert die Besserverdiener.

    Elterngeld gibt es seit 2007. Es ist eine Hinterlassenschaft von Ausgabenweltmeisterin Ursula von der Leyen, die einmal als Bundesfamilienministerin angefangen hat. Der Staat zahlt Müttern und Vätern zwischen 65 und 67 Prozent des Nettoeinkommens, mindestens 300 höchstens 1800 Euro für längstens 14 Monate. Das sind im besten Fall 25.200 Euro für die reicheren Familien – und summiert sich auf inzwischen acht Milliarden Euro jährlich im Bundeshaushalt (vor drei Jahren waren es noch sechs Milliarden). Das ist mit Abstand der größte Posten im Familienhaushalt, der sich insgesamt auf 12 Milliarden Euro beläuft.

    Für so viel Geld müsste die Gesellschaft eigentlich viel rausbekommen. Doch gefehlt. Völlig versagt die Leistung beim Ziel, die Geburtenrate zu erhöhen. Die lag 2007 bei 1,37 stieg dann tatsächlich bis auf 1,59 im Jahr 2017, ist aber inzwischen auf 1,35 zurückgefallen – somit 27 Jahre nach Einführung des Elterngelds »schlechter« als am Anfang. Über die Gründe der enttäuschenden Fertilität praktisch überall auf der Welt gibt es haufenweise Studien. Eines steht fest: Staatsgeld zeugt keine Kinder.

    Wenn das Elterngeld schon keine zusätzlichen Kinder gebracht hat, hat es dann zumindest mehr Frauen in Arbeit gebracht? Da ist das Ergebnis durchwachsen. 2003 lag der Anteil der Frauen an allen Erwerbstätigen bei 44,9 Prozent, inzwischen sind es 46,5 Prozent. Den größten Sprung machten allerdings Frauen zwischen 55 und 64 Jahren. Und es bleibt dabei: Frauen arbeiten mit oder ohne Elterngeld immer noch sehr häufig Teilzeit. Der Anteil der Vollzeitbeschäftigten hat sich seit es Elterngeld gibt gerade einmal um 0,3 Prozent verbessert. Nun kann man auch geringe Beschäftigungsverbesserungen dem Elterngeld zugute schreiben. Doch gäbe es haushaltsschonender viel effizientere Wege,
    dass mehr Frauen sich entscheiden zu arbeiten: Zum Beispiel die Abschaffung des Ehegattensplittings. Wetten wir, das Schwarz-Rot das Thema schweigend meidet?

    Dass das Elterngeld trotz fehlender »kausaler Evidenz« (Lars Feld) außerordentlich beliebt ist, wundert nicht, wird es doch inzwischen vielfach als eine Art staatliches Grundgehalt für geleistete Care-Arbeit angesehen. Eine Art Lohn für gut ausgebildete Mütter und Väter, die bereit sind, ihren Beitrag zur Steigerung gesellschaftlicher Produktivität zu leisten. Lässt man sich auf diese Logik ein, muss man zwingend für eine Erhöhung der Leistungen optieren. 1800 Euro auf 18 Stunden Kinderbetreuung an 30 Tagen gibt einen Stundenlohn von 3 Euro 33. »Viel zu wenig«, tönt es aus der von Jutta Allmendinger angeführten IG Väter und Mütter. Das zeigt: Die Einführung und Verstetigung neuer familienpolitischer Leistungen führt einen Kulturwandel herbei, der die Staatsbedürftigkeit von Besserverdienern als völlig natürlich und legitim erachtet.

    Vom Aufstieg und Niedergang der Nationen

    Wenn – leider Gottes – die Verteidigungsausgaben dauerhaft dramatisch erhöht werden müssen und wenn zugleich ein bleibend großer Bedarf an Investitionen in die Infrastruktur gegeben ist, führt kein Weg an sozial- und familienpolitischen Einschränkungen vorbei, um den Weg in den Pleitestaat zu stoppen. Das Reizthema Elterngeld ist nur ein Beispiel. Ich habe in einer vorigen Kolumne in Anlehnung an Vorschläge des Sachverständigenrats dafür plädiert, die Renten von der Lohnentwicklung zu entkoppeln und lediglich die Inflation auszugleichen. Das ergäbe in allen Jahren mit Reallohnverbesserungen deutliche Einsparmöglichkeiten bei den Staatszuschüssen zur Rentenkasse. Es gibt erst recht angesichts demographischer Kalamitäten kein gutes Argument dafür, den sich in Lohnerhöhungen spiegelnden Produktivitätsfortschritt an die nicht mehr Arbeitenden umzuverteilen – wohl wissend, dass dies eine Rücknahme der Dynamisierung der Renten wäre, dem Wirtschaftswunderstolz der Adenauerjahre.

    Politiker aller Parteien versprechen vor der Wahl mit markigen Worten deutliche Reformen. Dass die Versprechen eingelöst werden, verhindern die Lobbys der Rentner- und der Elterngewerkschaften. Den Rest der Blockade übernehmen der vielen anderen Subventionsempfänger. »Vom Aufstieg und Niedergang der Nationen« heißt ein 1982 erschienenes Buch des Ökonomen Mancur Olson. Darin steht, wie es weitergeht.

    Zum Elterngeld (»Luxus oder unverzichtbar?«) gibt eine kontroverse Diskussion zwischen der FAZ-Redakteurin Johanna Dürrholz und mir beim FAZ-Podcast für Deutschland.

    Rainer Hank