Hanks Welt

Subjektive Reflexionen, freche Interventionen, persönliche Spekulationen: »Hanks Welt« wirft einen subjektiven Blick auf das Geschehen in Wirtschaft, Politik und Kultur. Meine Kolumne erscheint Sonntag für Sonntag im Wirtschaftsteil der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).

Aktuelle Einträge

  • 05. März 2024
    Knöpft das Geld den Reichen ab?

    Marlene Engelhorn will 25 Millionen Euro spenden Foto wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Wenn sie wollen, können sie freiwillig ihre Millionen dem Staat spenden

    Die Reichen haben es auch nicht leicht. Neid und Missgunst ist ihnen gewiss. Schaut man sich an, wie große Vermögen in unseren Medien bebildert werden, so stehen nach meiner nicht repräsentativen Beobachtung Luxusyachten an erster Stelle (wahlweise mit oder ohne schöne Frauen oder Männer). Yachten – man muss gar nicht gleich an die Oligarchen denken – eignen sich offenbar noch besser als große Anwesen oder dicke Autos zur augenfälligen Demonstration des kleinen Milliardärsunterschieds. Die Kehrseite möglicher Bewunderung ist dann der Neid, der den Reichen ein permanentes schlechtes Gewissen machen soll.

    In seiner ökonomisch klügeren Form kommt die Reichenschelte als Kritik der Ungleichheit daher. Gerne wird mit Vergleichszahlen hantiert nach dem Muster »Das reichste ein Prozent der Bevölkerung verfügt über die Hälfte aller Vermögen«. Ganz genau nachprüfen kann das niemand, weil die Höhe des Vermögens Privatsache ist – zumindest in Ländern, in denen es keine Vermögenssteuer gibt. Würden die Reichen mehr von ihrem Reichtum abgeben, würde das den sozialen Zusammenhalt fördern, den Staat und seine Verschuldungsnöte entlasten und die Zufriedenheit der Bürger insgesamt erhöhen, heißt es.

    Reichen-Bashing ist übrigens nicht erst eine Erfindung des neuzeitlichen Antikapitalismus. Schon im 14. Jahrhundert kommen die »superabundantes« – Leute, die in großem Überfluss leben – alles andere als gut weg. Wer seinen Reichtum den Armen schenkt, steigt im Ansehen: Man denke an Franz von Assisi, Sohn eines superreichen Kaufmanns, der seinem Vater sein ganzes Erbe vor die Füße warf, fortan in Armut lebte und den Franziskanerorden gründet, einen sogenannten Bettelorden.

    Eine heutige Nachfolgerin des Franz von Assisi ist Marlene Engelhorn. Die Österreicherin, 31 Jahre alt, ist Nachfahrin von BASF-Gründer Friedrich Engelhorn. Vor drei Jahren erfuhr Engelhorn, dass sie von ihrer Großmutter Traudl ein stattliches Millionenerbe zu erwarten hat. Das findet sie nicht in Ordnung: »Ich habe ein Vermögen und damit Macht geerbt, ohne etwas dafür getan zu haben«, gibt sie in Interviews zu Protokoll. In Deutschland müsste sie abzüglich eines Freibetrags von 400.000 Euro immerhin 23 Prozent Erbschaftssteuer zahlen. In Österreich gibt es diese Steuer seit 2008 nicht mehr.

    Marlene Engelhorn und Tax me now

    Engelhorn ist fest entschlossen, 90 Prozent ihres Erbes an die Allgemeinheit weiterzugeben. Das sind ungefähr 25 Millionen Euro. Anders als Milliardär Bill Gates gründet sie keine Stiftung. Denn Stiften habe eine »Machtkomponente, die aus meiner Sicht nicht zu rechtfertigen ist.«. Stattdessen hat sie sich ein aufwendiges Verfahren einfallen lassen, wie entschieden werden soll, was mit dem Geld passiert. Ein eigens gegründeter repräsentativer »Bürgerrat« soll Vorschläge für die »Rückverteilung« ihres Reichtums an die Allgemeinheit machen. Sie selbst wolle sich dem Spruch ihres Bürgerrats unterwerfen, sagt die Millionenerbin. Dieses Verfahren entspreche ihrem demokratischen Verständnis.
    Nun ist jedermann frei, was er mit seinem Erbe macht. Er kann es verjubeln, dem Vietkong schenken (wie der ehemalige Frankfurter Stadtkämmerer Tom Königs) oder ein Forschungsinstitut gründen wie der Tabakkonzernerbe Jan Philipp Reemtsma. Marlene Engelhorn hat offenbar vor, das demokratische Gemeinwesens in seinen vielfältigen Aufgaben zu unterstützen. Dazu gibt es normalerweise Steuern und Staatsschulden. Weshalb man Frau Engelhorn fragen könnte, warum sie erst ein so aufwendiges Bürgerratsprozedere erfindet und ihre 25 Millionen nicht einfach dem österreichischen Finanzminister überweist; der Mann heißt übrigens Magnus Brunner.

    Das gehe doch gar nicht, würde Engelhorn vermutlich antworten. Ob so etwas in Österreich geht, weiß ich nicht. In Deutschland geht es schon, obwohl mir gestandene Steuerberater versichert haben, es gehe nicht. Ich rufe im Ministerium von Christian Lindner an. Die Antwort der Sprecherin ist eindeutig: »Einzahlungen freiwilliger Geldleistungen Dritter können seit dem Jahr 2006 getätigt werden.«

    Hätten Sie das gewusst? Deutsche Bürger können ihren Staat freiwillig finanzieren. Ich bin nicht sicher, ob die Millionärsbewegung »Tax me now« (»Besteuere mich jetzt!«) dies weiß, die für eine Vermögenssteuer wirbt und der auch Marlene Engelhorn anhängt. Denn diese Bewegung argumentiert gerne nach dem Motto: Wir würden ja gerne, dürfen aber nicht.

    Die Bundeskasse nimmt Bürgergeld gerne

    Doch, sie dürfen. Es geht ganz einfach, wie mir die Lindner-Sprecherin im Nachgang zum Telefonat schriftlich erklärt. Einfach den Betrag von, sagen wir, 25 Millionen auf das Konto der Bundeskasse Halle/Saale bei der Deutschen Bundesbank Filiale Leipzig überweisen: IBAN DE17 8600 0000 0086 0010 30 BIC: MARKDEF1860. Probieren Sie es gerne bei nächster Gelegenheit aus. Das Geld darf nicht zweckgebunden sein. Es fließt auch nicht direkt in den Bundeshaushalt, sondern wird zur Schuldentilgung verwendet. Das bedeutet, dass der Staat künftig weniger Zinsen zahlen muss, der Schuldendienst schrumpft und das gesparte Geld für sinnvolle Staatsaufgaben zur Verfügung hat. Schuldentilgung per Spendenaufruf.

    Ja um Himmelswillen, warum gibt es dann nicht längst eine große Werbekampagne der Regierung mit dem Slogan: »Reiche, helft uns bei der Schuldentilgung!«? Man bewerbe diese Einnahmequelle nicht aktiv, so das BMF. Es solle nicht so aussehen, als sei der Staat auf Spenden angewiesen. Zudem wolle man nicht in Konkurrenz treten zu gemeinnützigen Einrichtungen. Wenn vereinzelt Bürger einen freiwilligen Beitrag zur Schuldentilgung leisten möchten, stünde ihnen das offen. Steuerlich absetzbar sind diese Spenden übrigens nicht, das wäre ja auch widersinnig.

    Mir leuchtet diese schamhafte Zurückhaltung des Finanzministers nicht ein. Fast klingt es so, als ob die Regierung selbst nicht ganz überzeugt sei vom Sinn ihrer Politik und den guten Zwecken der Staatsfinanzierung. Dabei hören wir doch von den Ministern tagtäglich, warum überall gutes Geld fehlt: Kriegsfinanzierung in der Ukraine, regenerative Transformation der Energie, Nothilfe gegen die Wachstumsschwäche der Wirtschaft. Insofern wäre es nur konsequent, der Finanzminister würde auch direkt milde Zuwendungen für den von Not gebeutelten Haushalt willkommen heißen, und nicht ausschließlich den Schuldenabbau gestatten. Oder sind Steuern etwas nur dann gutes Geld, wenn sie zwangsweise kassiert werden? Das fände ich ein merkwürdig autoritäres Staatsverständnis.

    Wenn also diese Kolumne nicht hilft, die Möglichkeit der freiwilligen Staatsfinanzierung durch Multimillionäre bekannt zu machen, dann sollte die Bewegung Tax me now schleunigst eine große Kampagne zur freiwilligen Tilgung von Staatschulden durch die Bürger starten -, gerne unter Angabe der Kontonummer der Bundeskasse.

    Rainer Hank

  • 27. Februar 2024
    Freie Seeufer für alle

    Rund um den Zürichsee Foto: zürich.com

    Wenn Gemeinwohlinteresse auf Privateigentum trifft

    Ich war ein paar Tage in Zürich. Dort tobt ein Streit über den Zugang zum See. Eine Volksinitiative verlangt, bis zum Jahr 2050 müsse ein durchgehender Spazierweg am Zürichsee gebaut werden, möglichst nahe am Ufer. Am 3. März wird darüber abgestimmt.

    Da kommt Freude auf. Denn am See wohnen ja schon Menschen, es sind nicht die Ärmsten. Und die finden es überhaupt nicht lustig, sollten künftig wildfremde Menschen über ihr Grundstück spazieren. Es stört die Ruhe und mindert den Wert ihres Eigentums. Und natürlich war der exklusive Seezugang beim Kauf des Grundstücks eingepreist. Die im vergangenen Jahr verstorbene Sängerin Tina Turner soll für ihr Anwesen in der Zürichsee-Gemeinde Stäfa 70 Millionen Franken gezahlt haben. Auch der Tennisstar Roger Federer, in der Schweiz eine Art nationale Ikone, soll schon nervös geworden sein, so ist zu lesen: Der nämlich will bei Rapperswil-Jona ein Anwesen auf 16 000 Quadratmetern mit sechs Gebäuden, Pool und Tennisplätzen bauen – ein kleines Dorf, genannt »Federer City«. Auch ein Bootshaus samt Steg und Flachwasserzone gehört dazu. Einen Kaufpreis von 40 bis 60 Millionen Franken taxieren die Fachleute für das Filetstück.

    Schon rechnen die Anwälte der Eigentümer den möglichen Wertverlust ihrer Seegrundstücke in Entschädigungsansprüche um für den Fall, die Initiative hat Erfolg, die sie selbstredend einer liberalen Rechtsordnung unwürdig ansehen und die sie deshalb auch prinzipiell mit allen juristischen Mitteln bekämpfen werden. Eine halbe Milliarde Franken Entschädigungskosten befürchtet die Zürcher Regierung, während die Seeweg-Initiative Kosten von lediglich 38 Millionen Franken veranschlagt. Denn das Seeufer gehöre immer schon der Allgemeinheit, die sich jetzt ihr Eigentum zurückhole.

    Der Fall interessiert mich deshalb, weil er eine psychologische, eine juristische und eine ökonomische Komponente hat. Der psychologische Aspekt ist am einfachsten zu sehen. Die Emotionen sagen: Wo kommen wir hin, wenn sich die Reichen und Schönen mit ihrem vielen Geld auch noch die schönsten Plätze dieser Erde exklusiv sichern dürfen. Daran, dass die Seen nördlich und südlich der Alpen zu den schönsten Plätzen der Welt gehören, kann es keinen Zweifel geben. In der Initiative schwingt also einerseits viel Neid mit, zugleich kann man eine Gleichheits- und Gerechtigkeitsdebatte vernehmen. Denn natürlich wohnen an der Zürcher Goldküste nicht nur Menschen, die wie Tina Turner und Roger Federer ihr Vermögen mit künstlerischer und sportlicher Leistung erarbeitet haben, sondern auch Banker, Spekulanten und gerüchteweise sogar Oligarchen, bei denen das Volksempfinden noch ungnädiger zu werden pflegt als bei normalen Multimillionären.

    Das Privateigentum ist heilig

    Zugleich – das ist der ökonomische und juristische Aspekt – beruht die Marktwirtschaft auf einer Rechtsordnung, die das Privateigentum vorbehaltlos schützt. Für den Philosophen John Locke (16032 bis 1704) vereinigen sich die Menschen nur deshalb zu einem Staat, um einander ihr Leben, ihre Freiheit und ihre Güter zu sichern: »Life, Liberty and Property« heißt die liberale Trinität, deren letztes Glied die amerikanische Verfassung durch »pursuit of happyness« ersetzt hat, das Recht, sein Glück zu verfolgen, also gerne auch an seinem Privatsee.

    Bei den Seen hat die Freiheit allerdings seine Grenzen. Jedenfalls in der Schweiz, wie mir Andreas Glaser, ein Professor für Staatsrecht an der Universität Zürich, klarmacht. Wasserflächen sind dort grundsätzlich Eigentum der öffentlichen Hand. Und am Zürichsee sei sogar das Ufer lediglich als Konzession an Private vergeben worden, die das bloß vergessen hätten. »Aus meiner Sicht sind Uferwege grundsätzliche verfassungsrechtlich zulässig«, sagt Glaser; bloß eine geringe Entschädigung müsse gezahlt werden.
    »Eigentum verpflichtet«, heißt es auch im deutschen Grundgesetz. Das ist eine Art milder Sozialismus, woraus gemeinhin das Recht abgeleitet wird, Privateigentum zu konfiszieren und zu vergesellschaften. Das führt in Berlin zum Beispiel nun schon seit Jahren zu einem erbitterten Streit darüber, ob das Land berechtigt ist, private Wohnungsunternehmen zu kassieren als Mittel gegen galoppierende Mietpreise. In der Bayerischen Verfassung wird den Bürgern (Artikel 141, Absatz 3) »das Recht auf freien Zugang zu den Naturschönheiten Bayerns« garantiert, wozu nicht nur die Freiheit, auf Berge zu klettern oder in Flüssen zu schwimmen zählt, sondern eben auch der Zugang zu den schönen Seen des Freistaats. Das heißt freilich nicht, dass die Seen an jeder beliebigen Stelle frei zugänglich sein müssen. Am Starnberger See, sozusagen das Pendant des Zürichsees für die Bewohner Münchens, gehören lediglich 24 von 50 Kilometern Ufer der Öffentlichkeit.

    Während, wie gesagt, in der »liberalen« Schweiz Seen prinzipiell dem Volk gehören, also nicht privatisierbar sind, sind die Gewässer hierzulande genauso eigentumsfähig wie der feste Boden. Das sorgt vor allem in den »neuen« Bundesländern immer wieder für erbitterten Streit, wo etwa in Brandenburg die Treuhand-Nachfolgeunternehmen, um an Geld zu kommen, das DDR-Volkseigentum an den Seen meistbietend an Private (also zum Beispiel Düsseldorfer Millionäre) auf den Markt gebracht haben. Die neuen Eigner waren dann der Meinung, sie könnten Geld von Badeanstalten oder Golfplätzen verlangen, deren Grundstück direkt an »ihren« See grenzt, sofern deren Gäste oder Mitglieder dort zu schwimmen oder Tretbootfahren beabsichtigen.

    Der Konflikt zwischen dem Anspruch auf freiem Zugang zu den Highlights von Gottes Schöpfung (vulgo: den Binnengseen) und der marktwirtschaftlichen Garantie des Privateigentums ist wohl nur pragmatisch zu lösen. Wir machen Halbe-Halbe, wie am Starnberger See, hat freilich den Nebeneffekt, dass dies das privatisierbare Ufer ebenfalls halbiert und die Preise hochtreibt. Auch am Zürichsee sind jetzt schon nur 12,6 von insgesamt 50 Kilometer Seeufer in privater Hand. Vom Bellevue in Zürich kann jedermann frei in Richtung Küsnacht joggen oder walken.

    Der im vergangenen Jahr verstorbene Schriftsteller Martin Walser verbrachte den größten Teil seines Lebens in einem wunderschönen Haus mit Seezugang am Bodensee. Dort, so erzählte er uns anlässlich eines Interviews, gab es in den wilden siebziger Jahren einmal eine Enteignungsinitiative für einen öffentlichen Seeuferweg. Damals war Walser ein strammer Kommunist und also gegen jegliches Privateigentum. Als Anwohner am See fand er die Initiative dagegen ziemlich doof, die dann aber zu seiner privaten, gewiss nicht ideologischen Zufriedenheit letztendlich keine Mehrheit fand. »Nichts ist wahr ohne sein Gegenteil«, pflegte Walser zu sagen.

    Rainer Hank

  • 27. Februar 2024
    Ein Lob der Witwe

    Barbara Bäsinger (1419–1497) Foto: Geheimes Ehrenbuch der Fugger/wikipedia

    Dieser Artikel in der FAZ

    Geld, Macht und die Karriere der Frauen

    Würde man nach der am meisten unterschätzten Stadt Deutschlands fragen, Augsburg wäre eine Kandidatin. Würde man nach den am meisten unterschätzten Unternehmern fragen, die Witwen wäre gute Kandidatinnen. Beides hängt miteinander zusammen.

    Die Vermutung über Augsburg und die Witwen verdanke ich Jochen Sander. Der Mann ist stellvertretender Direktor des Frankfurter Städel-Museums. Derzeit ist dort von ihm kuratiert eine grandiose Ausstellung zu sehen über Augsburg, die Fugger und die Künstler dieser Stadt, allen voran Jakob Holbein der Ältere. Die Ausstellung gibt es dort noch bis zum 18. Februar. Vom 19. März an ist sie dann im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen. Es lohnt sich.

    Im 14. und 15. Jahrhundert ist Europa im Umbruch. Die Städte Oberitaliens – Padua, Bologna, Venedig und Florenz – entwickeln sich zu Zentren des frühen Kapitalismus. Familien gründen Banken – die Medici zum Beispiel – stellen für Fürsten und Unternehmer Kredite zur Verfügung. Und setzen sich weitsichtig über das biblische Verbot hinweg, Zins für geliehenes Geld zu verlangen. Die zu Reichtum gekommenen Fürstenhäuser schmücken sich mit zeitgenössischen Künstlern.

    Auch nördlich der Alpen gab es die Idee der Renaissance. Augsburg wird zur Stadt der Macht, des Geldes und der Künste. Die Städel-Ausstellung bezeichnet Augsburg als Zentrum der »Renaissance im Norden« und des großen Geldes – eine Art Wallstreet der frühen Neuzeit. Im Vergleich mit Augsburg in der damaligen Zeit muss München eine provinzielle Residenzstadt gewesen sein. Denn die Stadt am Lech war vor allem Sitz eines global agierenden Familienunternehmens – der Fugger. Der notorisch hoch verschuldete Kaiser Maximilian I (1459 bis 1519) ist häufig in der Stadt: Man muss sich mit seinen Bankern gut stellen.

    Die Dynastie der Fugger

    Die Fugger waren nicht von Anfang eine Dynastie der Bankiers. Noch auf dem Höhepunkt ihres Reichtums und Ansehens machten sie kein Hehl daraus, dass sie von einem Weber abstammten, der 1367 nach Augsburg gekommen war. Dieser Hans Fugger (circa 1350 bis 1408), der Stammvater, war kein armer Mann: Seine erste Zahlung, die das Augsburger Steuerbuch verzeichnet, lässt auf ein ordentliches Startkapital schließen, und durch zwei vorteilhafte Ehen konnte er dieses Vermögen mehren. So lese ich es bei Mark Häberlein, einem Geschichtsprofessor in Bamberg, der ein Standardwerk über die Fugger verfasst hat. Bald verfügten Hans Fuggers Söhne Andreas und Jakob über das fünftgrößte Vermögen der Reichsstadt. Jakob Fugger »der Ältere« begründete eine eigene Handelsgesellschaft, aus der sich in großer Geschwindigkeit ein Rohstoff- und Finanzkonzern entwickeln sollte: Kupferhandel und Kredite an das Haus Habsburg waren die beiden Säulen des Unternehmens.

    Womit wir bei den Witwen angekommen wären. Denn Jakob Fugger verstirbt bereits 1469. Seine Witwe Barbara, geborene Bäsinger, überlebt ihn um 28 Jahren – und in diesen Jahren führt sie sozusagen als Vorstandsvorsitzende den Fugger-Konzern in alleiniger Regie. Sie behält auch noch die Kontrolle über das Familienvermögen, als ihre Söhne längst erwachsen waren. Und sie war außerordentlich erfolgreich: Den Besitz der Familie hat sie nicht nur »wol beyeinander gehalten«, wie es in einer zeitgenössischen Quelle heißt, sondern ihn beträchtlich gemehrt: Lag das Vermögen der Firma beim Tod des Mannes bei 15.000 Gulden, so konnte sie nach 1497, ihrem Todesjahr, 23.292 Gulden den Erben hinterlassen.

    Wer war diese Barbara Bäsinger? Quellenmäßig ist die Frau schwer zu fassen. Ihr geschäftlicher Erfolg bildet sich fast ausschließlich in steigenden Vermögenssteuerzahlungen in den Augsburger Steuerbüchern ab; andere Quellen sind rar. Da ihr Sohn Jakob Fugger »der Reiche« bestrebt war, Frauen aus der Handelsgesellschaft auszuschließen, hatte er auch kein Interesse daran, das Gedächtnis einer tüchtigen Geschäftsfrau in der Familie zu bewahren. Ab dem 16. Jahrhundert wurden Frauen aus der Leitung der Handelsgesellschaft kategorisch ausgeschlossen. Die – männliche – Fugger-Geschichtsschreibung des 19. und 20. Jahrhundert tat ein Übriges, die Unternehmerinnen im Hause der Fuggerfamilie zu ignorieren.

    Die geschäftstüchmtige Barbara Bäsinger

    Einiges immerhin ist über Barbara Bäsinger bekannt. Ihr Leben wurde von der Historikerin Martha Schad (»Die Frauen des Hauses Fugger«) erforscht. Barbara Bäsinger war die Tochter des einflussreichen Goldschmieds und Münzmeisters Franz Bäsinger. »Ganz Tochter ihres geschäftstüchtigen Vaters« handelte sie mit Wolle, Baumwolle, Seide und Südfürchten. Sie mehrte ihren Grundbesitz und schützte das Vermögen gegen Erbaufteilung. Ihr gesellschaftliches Ansehen zeigt sich daran, dass sie einen Kirchenstuhl erwerben durfte. Sie ist ein Beispiel für den sozialen Aufstieg einer Webersfrau zur Kaufmannsfrau, einer selbständigen Geschäftsfrau in der Reichsstadt Augsburg.

    Bäsinger war nicht die einzige tüchtige Witwe der Fugger. Frauen traten damals aus der Vormundschaft ihrer Männer heraus und verdienten sich ihr Leben in der Stadt in vielen Berufen. Sie hatten selbstverständlich einen Platz in den Zünften. Sie konnten finanzielle Verpflichtungen eingehen und gerichtlich Zeugnis ablegen. Abschlüsse von Kauffrauen waren unbeschränkt verbindlich, die Frauen waren schuldens- und konkursfähig. Wittfrauen, scheibt Martha Schad, waren »freier als jede andere Frau der mittelalterlichen Gesellschaft und hatten ihre volle Eigenverantwortlichkeit«. Einen speziellen Witwenstand, der wie noch im Mittelalter Keuschheit vorschrieb, gab es im 15. Jahrhundert nicht mehr. Der »Lohn der Witwe« sei höher als der einer Ehefrau, heißt es in einer Quelle, »wo doch der Witwenstand soviel besser und bequemer erscheint als das Leben einer Verheiraten«.

    Ob Barbara Bäsinger solch eine lustige Witwe war, wissen wir nicht. Doch wir wissen, dass sie nie wieder geheiratet hat. An potenziellen neuen Lebenspartnern habe es nicht gefehlt, heißt es. Doch schon allein aus Geschäftsinteresse habe sie wohl eine weitere Ehe abgelehnt. So konnte sie ihr Vermögen für ihre Kinder erhalten und ihnen durch eine geschickte Heiratspolitik zu weiterem Aufstieg verhelfen.

    Merke: Erfolgreiche Karrieren von Frauen gibt es nicht erst seit dem emanzipierten 20. Jahrhundert. Dass wir so wenig über sie wissen, haben die Männer zu verantworten; sie haben diese Erfolgsgeschichten unterdrückt.

    Barbara Bäsinger gebührt ein Ehrenplatz in der Reihe der erfolgreich wirtschaftenden Witwen, in deren weiteren Verlauf wir etwa im 19. Jahrhundert auf die Witwe Barbe-Nicole Ponsardin (»Veuve Cliquot«), die Erfinderin des Champagners, treffen. Heute fallen einem die beiden Verlegerwitwen Friede Springer und Liz Mohn (»Bertelsmann«) ein. Oder Maria-Elisabeth Schaeffler, Chefin des gleichnamigen Automobilzulieferers.

    Rainer Hank

  • 21. Februar 2024
    Die Hamas-Millionäre

    Tunnelsystem in Gaza, finanziert mit dem Hammas-Staatsfonds Foto zdf

    Dieser Artikel in der FAZ

    Es wäre besser, Hochhäuser statt Tunnel zu bauen

    Jüngst gab es wieder eine dieser Diskussionen im Freundeskreis über die Frage, ob die Reaktion Israels auf das Massaker vom 7. Oktober »verhältnismäßig« sei. Wobei alle Anwesenden das Gefühl teilten, dass es sich im Frankfurter Nordend einigermaßen komfortabel debattieren lässt über die Verhältnismäßigkeitskriterien in einem Krieg.
    Ein Argument in der Debatte klang eher pragmatisch-utilitaristisch und weniger humanitär-moralisch. Ein derart massiver Schlag Israels, der Zehntausenden Menschen in Gaza das Leben koste, stärke langfristig die Hamas, die dies als Legitimation künftiger Terrorangriffe gegen Israel benutzen werden. Mäßigung wäre insofern nicht nur ein Gebot des Kriegs- und Völkerrechts, sondern auch der Klugheit.

    Das Argument der Mäßigungsklugheit unterstellt eine Art historischer Zwangsläufigkeit. So als ob der Hamas gar keine andere Wahl bleibe, als abermals mit einem »Rachefeldzug« zu reagieren. Das Argument unterschlägt, dass historische Prozesse nicht alternativlos sind und so tut, als gäbe es einen Determinismus. Im Nachhinein mag das so aussehen, weil es in der Geschichte fürs Kontrafaktische keine Kontrollgruppen gibt.

    Machen wir es konkret. Die Hamas ist eine reiche Organisation. Sie braucht viel Geld zur Finanzierung ihres Terrorsystems. Woher kommt das Geld? Der Eindruck, es handele sich vor allem um milde Gaben aus Katar, dieser Eindruck ist falsch oder zumindest grob unvollständig. Die Hamas hat selbst seit Jahren ein riesiges und weit verzweigtes Finanzimperium aufgebaut. Und zwar völlig legal. Anders als man es bei Terroristen vermuten könnte, spielen illegale Geschäfte wie Geldwäsche oder Drogenhandel keine oder eher marginale Rollen. Das ist wenig bekannt. Eine große Geschichte in der New York Times vom Ende Dezember hat mir die Augen geöffnet. Danach ist die Hamas im Besitz einer Art von Staatsfonds, der Hunderte Millionen Dollar weltweit profitabel und ganz legal anlegt. Auf ähnliche Weise finanzieren sich auch die Golfstaaten, Singapur oder Norwegen. Die Firmen der Hamas kontrollieren Bergwerke, Geflügelfarmen und Straßenbaufirmen in Sudan. Sie finanzieren Bürohochhäuser in den Vereinigten Emiraten, engagieren sich bei Projektentwicklern in Algerien und verfügen über nennenswerte Aktienpakete eines börsennotierten Immobilienkonzerns in der Türkei.

    Profitable Invevstments einer Terroristentruppe

    Noch einmal: das sind alles legale und offenbar auch sehr profitable Investments einer mörderischen Terroristentruppe. Die Existenz dieses Finanzimperiums soll auch schon seit 2018 bekannt sein, schreibt die New York Times – nicht nur dem israelischen Geheimdienst, sondern auch den entsprechenden Diensten der USA. Aber anders als etwa gegen Iran oder Russland gab es keinen Boykott oder wenn doch, dann wurde er weniger als halbherzig verfolgt. Es ist in der Tat leichter, Gas- oder Ölexporte eines Landes zu boykottieren im Vergleich zu Dividendenerträgen oder Kursgewinnen aus der Beteiligung an einem börsennotierten Konglomerat.

    Und die Erträge aus diesen Finanzaktivitäten sind mehr als Peanuts. Fachleute schätzen, dass die Hamas jährlich zehn bis fünfzehn Millionen Dollar an den Weltfinanzmärkten erwirtschaften. Geraume Zeit vor dem Massaker haben sie durch den Verkauf von Unternehmensbeteiligungen 75 Millionen Dollar erlöst. Mit diesem Geld waren sie in der Lage, militärisch aufzurüsten, das verzweigte und sehr ambitionierte Tunnelsystem weiter auszubauen: Geschätzt handelt es sich um 500 Kilometer unterirdischer Gänge in bis zu 20 Metern Tiefe, betongesichert und gut belüftet. Ein Kilometer Tunnel, das sagen Schätzungen, kostet mindestens 500.000 Dollar. Und vor allem versetzt ihr »Staatsfonds« – oder soll man lieber sagen »Terrorfonds« – sie in die Lage, nach dem Krieg die zerstörten militärischen Anlagen wieder aufzubauen und an ihrem Ziel, der vollkommenen Auslöschung Israels, weiterzuarbeiten.

    Wäre es so, liefe das Argument ins Leere, Israel provoziere durch den Krieg einen Rachefeldzug der Hamas. Die Schatzmeister der Terrororganisation haben längst schon die langfristige Finanzierung ihres Staatskonzerns zur Vernichtung der Juden gesichert. Um die Finanzierung eines Minimal-Sozialstaats (Schulen, Krankenhäuser) für die arme Bevölkerung in Gaza brauchen sie sich nicht zu kümmern. Diese Aufgaben wurden perfide an die UN delegiert – das Flüchtlingshilfswerk UNRWA; Deutschland trugt allein 2023 daran einen Anteil von 200 Millionen Euro. Die Hamas kann sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, den Terror.

    Halten wir fest: Die Hamas hat offenkundig kein Interesse, mit den Erträgen ihrer Beteiligungen den Wohlstand des Landes und seiner Bevölkerung zu mehren. Es verwendet das Geld stattdessen zur Destruktion (verbunden mit den paradiesischen Versprechungen künftiger Belohnung der »Märtyrer«). Die Menschen in Gaza sind, so gesehen, in erster Linie Opfer der Hamas, nicht Opfer einer Unterdrückung oder gar Kolonisierung durch den Zionismus und den postkolonialen Imperialismus des Westens. Und das UNRWA hält den Menschen in Gaza die Illusion einer Rückkehr nach »Palästina« aufrecht.

    Dubai hat die friedliche Alternative gewählt

    Das führt zurück zu unserer Debatte im Frankfurter Nordend. Dass die Hamas jetzt schon im Besitz finanzieller Ressourcen für den militärischen Wiederaufbau ihres Landes und den Kauf weiterer Waffen ist, sieht eben nur auf den ersten Blick aus wie eine Bestätigung der These von einer Spirale von Gewalt und Vergeltung. Kein historisches Gesetz nötigt die Hamas zu dieser Logik. Dafür ist ein Blick nach Dubai hilfreich. Dort ist es in nur wenigen Jahrzehnten gelungen, aus einem armen Wüstenstaat ein reiches Land zu machen. Das Rezept dafür ist nicht besonders originell. Man kennt es auch aus Singapur oder Hongkong. Es entstammt dem Lehrbuch der liberalen Ökonomie: Offene Handelsgrenzen, Marktwirtschaft, ein mehr oder weniger stabiles Rechtssystem und eine Diversifizierung der Wirtschaftstätigkeit als Vehikel zur Reduzierung der Abhängigkeit vom Öl. Dubai hatte keine besseren wirtschaftlichen Bedingungen als Gaza, womöglich sogar schlechtere – denn Gaza hat einen Zugang zum Mittelmeer. Die Zahlen sprechen für sich. Das Prokopfeinkommen in Dubai liegt bei 45.000 Dollar, das palästinensische Einkommen beträgt nicht einmal 4.000 Dollar pro Kopf.

    Hamas hat sich entschieden, nicht dem Vorbild Dubais zu folgen. Lieber wiederholen sie den Weg des Vietkongs im Jahr 1968, wie der Publizist Thomas L. Friedman kürzlich bemerkt hat: Ein auf 200 Kilometern verzweigtes Tunnelsystem diente im Vietnamkrieg als militärische Basis eines mörderischen Krieges. Tunnel statt Hochhäuser? Terror statt Wohlstand? Es ist eine Frage der Wahl, nicht des Schicksals.

    Rainer Hank

  • 21. Februar 2024
    Eure Tage sind gezählt!

    Sind die apokalyptischen Reiter längst unterwegs? Foto National Geographic

    Dieser Artikel in der FAZ

    Warum Apokalypse gut ankommt, aber nichts hilft

    Was sollen wir tun, um den Klimawandel zu bremsen? »Fridays for Future«, »Extinction Rebellion« und die »Last Generation« malen den Weltuntergang an die Wand. Wenn die Menschen nicht schleunigst ihr klimaschädliches Verhalten beenden, so die Botschaft, dann ist der Planet verloren – den es bekanntlich nur einmal gibt. Dass die Warnungen vorwiegend von einer jungen Generation kommen, verschafft ihnen Glaubwürdigkeit und den Älteren ein schlechtes Gewissen: Wer nach dem Motto »Nach mir die Sintflut« lebt, ist moralisch ein Schwein.

    Die Propheten des Weltuntergangs bedienen sich der Bilderwelt der Apokalypse. Fühlen sich Gesellschaften existentiell bedroht, greifen sie bei der Deutung der Bedrohung immer schon auf Schreckensbilder zurück: Das Ende ist nahe. Wer den Untergang abwenden möchte, muss sofort handeln. Um die Menschen in ihrer Selbstzufriedenheit aufzurütteln, muss Panik geschürt werden. »I want you to panic«, so lautet der berühmt gewordene Schocker der Aktivistin Greta Thunberg. Seit alters her gehört die Übertreibung zur apokalyptischen Rhetorik. Denn nur so werde es zu Verhaltensänderungen kommen, glauben die Apokalyptiker. Zum Beweis, dass das Ende nahe ist, gibt es Zeichen. »Mene, mene tekel«, schreibt die Flammenschrift an die Wand in Babylons Königspalast. Der Prophet Daniel deutet darin das Schicksal des neuen Königs Belsazar: »Deine Tage sind gezählt.« Vom frühen Christentum bis in die Neuzeit war die Androhung des Weltuntergangs ambivalent. Wer gottwohlgefällig lebt, dem steht der Himmel offen, wo sich eine bessere Welt auftut als im irdischen Jammertal. Die Sünder hingegen landen im Inferno. In unsren säkularen Tagen ist die Hoffnung auf das Jenseits geschwunden. Hinter der »Last Generation« lauert das Nichts.

    Das »Team Apokalypse« hat viele Mitglieder. Jetzt hat eine junge britische Wissenschaftlerin ihren Austritt aus dem Untergangsclub öffentlich gemacht. Nennen wir ihre Alternative »Team Fortschrittsoptimismus«. »Not the end of the world«, heißt ihr kürzlich erschienenes Buch mit dem Untertitel: »Wie wir die erste Generation werden können, die einen nachhaltigen Planeten geschaffen hat«. Hannah Ritchie, die Autorin, hat hohe Glaubwürdigkeit: Die Schottin ist gerade einmal 31 Jahre alt und hat Umweltwissenschaften an der Universität Edinburgh studiert. Ihren akademischen Weg, wie gesagt, hat sie im »Team Apokalypse« begonnen. »Damals nahm ich einfach an, dass die Welt immer schlimmer werde.«

    Doch dann löste sie sich von den Apokalyptikern. Ihre Konversion geht auf zwei ältere Männer zurück. Der eine, Hans Rosling, ein schwedischer Statistiker, überzeugte die Umweltwissenschaftlerin mit soliden Fakten davon, dass viele unserer Vorstellungen falsch sind. Vieles auf der Welt ist nicht schlechter, sondern besser geworden. Roslings Buch »Factfullness«, Summe eines langen Forscherlebens, gibt es auch auf Deutsch, ein Longseller auf dem Büchermarkt. Der andere Mann ist Max Roser, der in Oxford die Plattform »Our world in Data« gegründet hat. Dort zeigt er mit vielen Kurven, wie sehr sich die Welt seit dem frühen 19. Jahrhundert verbessert hat, ausgelöst durch technischen Fortschritt und viel Kapitalismus. Hannah Ritchie arbeitet heute als »Head of Research« in Rosers Faktenfabrik.

    Dauernde Übertreibung stumpft ab

    Ritchie bezweifelt, dass die Apokalyptiker die Menschheit zu einem Sinneswandel bewegen könnten. Im Gegenteil: Sie richten mehr Unheil an als sie Gutes tun. Denn die Übertreibung wird von den Menschen durchschaut. Irgendein Weltuntergang ist immer; Apokalypse stumpft ab. Ihre Prophezeiungen sind noch selten eingetreten. Tatsächlich haben Apokalyptiker seit jeher das Problem zu erklären, warum die Welt doch nicht untergeht. Das delegitimiert ihre Experten und gibt den Verdrängern, in unserem Fall den Klimaleugnern, Auftrieb. Mit »Degrowth«- und »Depopulations,-Strategien«, also dem Aufruf, keine Kinder in die Welt zu setzen und das Wirtschaftswachstum zu drosseln, ist niemand geholfen und vielen geschadet, vor allem den Armen.

    Hannah Richie ist keine Klimaleugnerin. Sie plädiert auch nicht für blinden Optimismus, hält es freilich für zielführender, die bereits erreichten Erfolge der Transformation zu betonen. Vieles davon ist nicht Common Sense. Zum Beispiel die überraschende Tatsache, dass im Jahr 2012 die Energie in Großbritannien zu 40 Prozent von der Kohle abhing; fünf Jahre später waren es nur noch sieben Prozent. Weltweit ist es gelungen, Wachstum und CO2–Ausstoß voneinander zu entkoppeln. Moralisierung hilft nicht weiter, findet Richie. Verzicht predigen auch nicht. Zur Rettung des Klimas müssen wir keinen Verzicht üben. Stattdessen dürfen wir auf den technischen Fortschritt setzen: die Ingenieure werden am Ende schneller sein als die steigenden Temperaturen. Besser als das apokalyptische Menetekel funktioniert der Preismechanismus, der dem Emissionshandel zugrunde liegt. Sobald E-Autos billiger werden als Verbrenner, sie noch dazu – siehe Tesla – als »cool« gelten und allmählich eine Ladeinfrastruktur sich bildet, kann man den Fortschritt sehen. »Ich bin zurückhaltend darin, den Menschen zu predigen, was sie tun sollen«, sagt Richie.

    Die junge Wissenschaftlerin ist auf Gegenwind eingestellt. Besonders provokant ist ihre Behauptung, sich mit regionalen Produkten zu ernähren, bringe nichts für das Klima. Wer in Schottland eine heimische Lammkeule verzehrt, hinterlasse einen schlimmeren CO2–Fußabdruck, als wenn er sich mit Avocados aus Mittel- und Südamerika ernährt. Denn der Transport von Lebensmitteln in Schiffscontainern trägt lediglich 0,2 Prozent zu den globalen CO2–Emissionen bei. Im Übrigen wurde der Abholzungsprozess der Regenwälder in gestoppt, weil die Landwirtschaft ihre Flächen viel effizienter nutzt – nicht zuletzt dank des bei den Umweltaktivisten besonders verhassten Palmöls: eine super-effiziente Frucht. Nicht »Kauft heimische Produkte!« müsste der Klimaimperativ heißen. Sondern: »Kauft von dort, wo die Bedingungen optimal sind«: tropische Früchte aus tropischen Ländern und Fleisch aus Gegenden, wo das Weideland optimal genutzt wird. Effektiven Umwelt- und Klimaschutz nennt Ritchie dies.

    Schlimmer noch als der Wind von den Gegnern ist das eigene schlechte Gewissen, mit welchem man im »Team Fortschritt« rechnen muss: Auf den technischen Fortschritt, den Preismechanismus und die globale Koordination der Staaten in einem Klimaclub zu vertrauen, werden die Apokalyptiker als Ablenkungsmanöver und Selbstbetrug von Leuten denunzieren, die am liebsten gar nichts ändern wollen. Während die Untergangspropheten sogar den Verzicht auf den Verzehr eines Hühnereis als klimafreundliche Großtat preisen. Die Fortschrittsoptimisten haben die bessere Theorie, die Apokalyptiker haben das bessere Gewissen.

    Rainer Hank